Lieber Merlan,
dann greife ich nach unserem Austausch in einem anderen Thema Ihre Anregung und meinen Arbeitstitel auf und erstelle ein neues Thema.
Der Arbeitstitel war „Warum entzieht der Michelin so wenig Sterne wegen mangelnder Leistung, und sofern diese Frage nicht zu provokant für die Admins ist, welche würden wir vorschlagen, dass sie einen Stern entzogen bekommen sollten."
Das sind ja eigentlich zwei Themen, deshalb möchte ich mich zunächst auf den ersten Teil beschränken, solange sich nicht Mitglieder auf den zweiten Teil stürzen.
Zunächst eine Bestandsaufnahme aus meiner Sicht.
1. Der Michelin versteht sich bzw. wird vielfach so genannt als Bibel der Gastronomie.
2. Für mich ist er trotz Internet nach wie vor ein nahezu vollständiges, bundesweites Adressverzeichnis, was andere gedruckte Medien nicht leisten.
3. Vergleicht man ihn mit dem Gault Millau, so fallen seine Bewertungen seriöser aus.
4. Sie sind auch vollständiger, weil der Gault Millau zwar die „besten“ Restaurants listet, gern aber auch mal auf ein Sterne-Lokal verzichtet.
5. In all den Jahrzehnten hat er sich aber nicht in seinem Erscheinungsbild verändert. Die vor einigen Jahren aufgenommenen kurzen Texte sind vielfach austauschbar bzw. wenig informativ.
6. Jedes Jahr erhöht sich die Zahl der Sterne-Restaurants. Das mag an der gestiegenen Leistung deutscher Köche liegen oder am „Futter“ für Pressemitteilungen und Erregung von Aufmerksamkeit.
7. Sterne werden ganz selten wegen mangelnder Leistung entzogen. Sofern dies die allgemeine Presse anders berichtet, übersieht sie Schließungen von Restaurants, neue Konzepte oder dass der Koch ohne entsprechenden Nachfolger das Haus verlassen hat. Diese Gründe stehen für die Mehrheit der verlorenen Sterne.
8. Mit drei Sternen tut sich der Michelin schwer, vor allem wenn man Vergleiche zieht zwischen komplett Deutschland und Städten wie Paris und Tokio. Sicherlich gibt es hier genügend Mitglieder, die sehr seriöse Vorschläge für deutsche Aspiranten hätten. Legt der deutsche Michelin andere Maßstäbe an oder sind deutsche Köche so schlecht oder wenig innovativ?
9. Der Michelin steht vor dem „Problem“, dass die kulinarische Landschaft vielfältiger geworden ist. Endgültig hat die zu Recht fast vollständig verschwundene molekulare Küche das Konzept liberalisiert und geöffnet. Als Amador den 3. Stern erhielt, geriet mein Weltbild vom konservativen Michelin ins Wanken.
10. Wir haben aktuell diverse Küchen-Konzepte, die einen Stern tragen. Sie gehen von der Interpretation der französisch-klassischen Küche bis zu den Schülern der Noma-Küche. Haben alle gleichermaßen einen Stern verdient?
11. Führt dies zur Orientierungslosigkeit der Michelin-Nutzer, denn dieser gibt keine Hilfe, um das Konzept eines Restaurants zu erkennen (s. auch meinen Punkt 4). Ich verweise beispielhaft auf die Kommentare zu „Nobelhart & Schmutzig“ hier im Forum. Sehr viele Gourmets und sicherlich nicht nur die „altmodischen“ wären wohl enttäuscht von einem Besuch dort, wenn der bloße Stern sie dazu verleitet hätte.
Kehren wir zurück zu der Fragestellung, warum entzieht der Michelin so wenig Sterne wegen mangelnder Leistung.
· Wir dürften uns ohne Nennung von Restaurants einig sein, dass rein empirisch betrachtet, mehr Restaurants jährlich einen Stern verlieren sollten als dies der Fall ist. Oder halten alle Köche ihr Niveau, was ich ihnen und uns ja gönnen würde?!
· Vertritt der Michelin einen liberalen, an sich lobenswerten Ansatz, wenn ganz unterschiedliche Konzepte, die aus der Sicht einiger Gourmets veraltet oder zu modern, konkreter formuliert gekünstelt erscheinen, dennoch einen Stern erhalten?
· Normalerweise sind für die Presse bad news good news. Der Michelin verfährt anders. Er hält die Fahne der jeweiligen nationalen Gastronomie hoch, lobt sie, preist sie. Schlechte Nachrichten darf es nicht geben.
· Das überlässt man dem Gault Millau, mit dem der Michelin, beide in Frankreich gegründet, eine langjährige Konkurrenz verbindet.
· Ist somit der Michelin „nur“ eine Lobhudelei für die Sterne-Restaurants, ohne die Leistung kritisch zu hinterfragen bzw. differenziert dazustellen?
· Sind wir Gourmets mithin auf Selbstversuche angewiesen, die aber tüchtig ins Geld gehen können?
· Oder dürfen wir uns nicht freuen, dass es dieses Forum gibt? Denn nach den Beschreibungen des „Nobelhart & Schmutzig“, auch den durchaus positiven, im Kern aber eben sehr differenzierten Texten von bsteinmann weiß ich, dass ich dort zwar mal aus akademischen Gründen auftauchen sollte, aber wohl sicherlich nicht begeistert sein werde.
So, nun ist mein Text sehr lang geworden. Aber sein Sinn dürfte wohl dahingehend erfüllt sein, nämlich was Merlan anregte. Eine Diskussion kann beginnen.
Viele Grüße
Gourmet89
dann greife ich nach unserem Austausch in einem anderen Thema Ihre Anregung und meinen Arbeitstitel auf und erstelle ein neues Thema.
Der Arbeitstitel war „Warum entzieht der Michelin so wenig Sterne wegen mangelnder Leistung, und sofern diese Frage nicht zu provokant für die Admins ist, welche würden wir vorschlagen, dass sie einen Stern entzogen bekommen sollten."
Das sind ja eigentlich zwei Themen, deshalb möchte ich mich zunächst auf den ersten Teil beschränken, solange sich nicht Mitglieder auf den zweiten Teil stürzen.
Zunächst eine Bestandsaufnahme aus meiner Sicht.
1. Der Michelin versteht sich bzw. wird vielfach so genannt als Bibel der Gastronomie.
2. Für mich ist er trotz Internet nach wie vor ein nahezu vollständiges, bundesweites Adressverzeichnis, was andere gedruckte Medien nicht leisten.
3. Vergleicht man ihn mit dem Gault Millau, so fallen seine Bewertungen seriöser aus.
4. Sie sind auch vollständiger, weil der Gault Millau zwar die „besten“ Restaurants listet, gern aber auch mal auf ein Sterne-Lokal verzichtet.
5. In all den Jahrzehnten hat er sich aber nicht in seinem Erscheinungsbild verändert. Die vor einigen Jahren aufgenommenen kurzen Texte sind vielfach austauschbar bzw. wenig informativ.
6. Jedes Jahr erhöht sich die Zahl der Sterne-Restaurants. Das mag an der gestiegenen Leistung deutscher Köche liegen oder am „Futter“ für Pressemitteilungen und Erregung von Aufmerksamkeit.
7. Sterne werden ganz selten wegen mangelnder Leistung entzogen. Sofern dies die allgemeine Presse anders berichtet, übersieht sie Schließungen von Restaurants, neue Konzepte oder dass der Koch ohne entsprechenden Nachfolger das Haus verlassen hat. Diese Gründe stehen für die Mehrheit der verlorenen Sterne.
8. Mit drei Sternen tut sich der Michelin schwer, vor allem wenn man Vergleiche zieht zwischen komplett Deutschland und Städten wie Paris und Tokio. Sicherlich gibt es hier genügend Mitglieder, die sehr seriöse Vorschläge für deutsche Aspiranten hätten. Legt der deutsche Michelin andere Maßstäbe an oder sind deutsche Köche so schlecht oder wenig innovativ?
9. Der Michelin steht vor dem „Problem“, dass die kulinarische Landschaft vielfältiger geworden ist. Endgültig hat die zu Recht fast vollständig verschwundene molekulare Küche das Konzept liberalisiert und geöffnet. Als Amador den 3. Stern erhielt, geriet mein Weltbild vom konservativen Michelin ins Wanken.
10. Wir haben aktuell diverse Küchen-Konzepte, die einen Stern tragen. Sie gehen von der Interpretation der französisch-klassischen Küche bis zu den Schülern der Noma-Küche. Haben alle gleichermaßen einen Stern verdient?
11. Führt dies zur Orientierungslosigkeit der Michelin-Nutzer, denn dieser gibt keine Hilfe, um das Konzept eines Restaurants zu erkennen (s. auch meinen Punkt 4). Ich verweise beispielhaft auf die Kommentare zu „Nobelhart & Schmutzig“ hier im Forum. Sehr viele Gourmets und sicherlich nicht nur die „altmodischen“ wären wohl enttäuscht von einem Besuch dort, wenn der bloße Stern sie dazu verleitet hätte.
Kehren wir zurück zu der Fragestellung, warum entzieht der Michelin so wenig Sterne wegen mangelnder Leistung.
· Wir dürften uns ohne Nennung von Restaurants einig sein, dass rein empirisch betrachtet, mehr Restaurants jährlich einen Stern verlieren sollten als dies der Fall ist. Oder halten alle Köche ihr Niveau, was ich ihnen und uns ja gönnen würde?!
· Vertritt der Michelin einen liberalen, an sich lobenswerten Ansatz, wenn ganz unterschiedliche Konzepte, die aus der Sicht einiger Gourmets veraltet oder zu modern, konkreter formuliert gekünstelt erscheinen, dennoch einen Stern erhalten?
· Normalerweise sind für die Presse bad news good news. Der Michelin verfährt anders. Er hält die Fahne der jeweiligen nationalen Gastronomie hoch, lobt sie, preist sie. Schlechte Nachrichten darf es nicht geben.
· Das überlässt man dem Gault Millau, mit dem der Michelin, beide in Frankreich gegründet, eine langjährige Konkurrenz verbindet.
· Ist somit der Michelin „nur“ eine Lobhudelei für die Sterne-Restaurants, ohne die Leistung kritisch zu hinterfragen bzw. differenziert dazustellen?
· Sind wir Gourmets mithin auf Selbstversuche angewiesen, die aber tüchtig ins Geld gehen können?
· Oder dürfen wir uns nicht freuen, dass es dieses Forum gibt? Denn nach den Beschreibungen des „Nobelhart & Schmutzig“, auch den durchaus positiven, im Kern aber eben sehr differenzierten Texten von bsteinmann weiß ich, dass ich dort zwar mal aus akademischen Gründen auftauchen sollte, aber wohl sicherlich nicht begeistert sein werde.
So, nun ist mein Text sehr lang geworden. Aber sein Sinn dürfte wohl dahingehend erfüllt sein, nämlich was Merlan anregte. Eine Diskussion kann beginnen.
Viele Grüße
Gourmet89
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