Ein Besuch im Eleven Madison Park war für mich einer der Hauptgründe nach New York City zu reisen. Dieses Restaurant übt schon seit langem einen unheimlichen Reiz auf mich aus. Sicherlich nicht zuletzt wegen dem generellen Hype, dem rasanten Aufstieg in der St. Pellegrino Liste und der Schwierigkeit einen der begehrten Tische reservieren zu können.
28 Tage im Voraus punkt 9 Uhr - nur telefonisch oder über Opentable. Aber wie versteht sich 28 Tage im Voraus? Wird der Tag an dem man anruft mitgezählt oder erst ab dem Tag darauf? Wird der Tag für die Reservierung mitgezählt? Die Lösung des Rätsels: Der Tag an dem man anruft zählt man nicht mit, der Tag darauf ist Tag 1 und der Tag 28 ist der Tag für die Reservierung. Ich musste somit am 16. September anrufen, um am 14. Oktober zu reservieren.
Kurz vor 15 Uhr (unserer Zeit) saß ich mit dem Telefon in der Hand vor meinem PC. 14:59:50...51...52... ich drückte auf „Anrufen“...53...54... und merkte, dass ich eine Nummer vergessen habe. Schnell auflegen und noch mal eintippen. Der Verbindungsaufbau dauerte gefühlte 3 Stunden. Das Freizeichen ertönt... 1mal...2mal...es nimmt jemand ab... und zwar die Warteschleife.
> Bla bla bla, Gedudel (wahrscheinlich lief Miles Davis ;-) ) bla bla bla < und so ging es dann erst mal weiter. Nach 10 Minuten hab ich mich schon fast mit dem Gedanken abgefunden, es am nächsten Tag erneut zu probieren. Aber jetzt schon aufgeben? Nein, ich entschied noch etwas zu warten. Nach gut 25 Minuten ertönte eine nette weibliche Stimme. Glück gehabt, ich konnte zwischen einer sehr frühen (5:45 PM) und einer sehr späten (9:45 PM) Reservierung entscheiden - ich entschied mich für die frühe Variante. Das war ja einfach - soll noch mal jemand behaupten, es wäre schwierig einen Tisch im EMP zu bekommen... ;-)
Genug Schmonzes von der Reservierungsprozedur - kommen wir zum Essen:
Eine Speisenkarte gibt es hier nicht - jeder bekommt das Tasting Menü (195 $), welches ganz im Zeichen New York Citys steht. Bei zwei Gängen durften wir doch noch etwas bestimmen. Gänseleber lieber als Terrine oder gebraten? Zum Hauptgang die Ente oder das Wild? Wir entschieden uns für die gebratene Version der Gänseleber und für die Ente zum Hauptgang.
Auf den schönen Abend wurde erst einmal mit einem Crémant de Bourgogne angestoßen. Und dann ging es mit dem Menü los.
CHEDDAR
Savory Black and White Cookie with Apple
Ein kleines, zugeschnürtes Paket wurde uns an den Tisch gebracht. Wir öffneten es und fanden darin zwei Cookies - Etwas Bohnenkraut war in den beiden Kekshälften, die Füllung bestand aus herzhaftem Cheddarkäse und einem Hauch Apfel. Sehr viel Geschmack für einen so kleinen Cookie. Sicherlich kein kulinarischer Höhenflug, aber das war sicherlich auch nicht das Ziel dieser Kekse. Hiermit sollte nur noch mal deutlich signalisiert werden „WELCOME TO NYC“
OYSTER
Grapes, Bulgur Wheat and Sorrel
Die Zutaten waren tolle Begleiter für die Auster. Einige hauchdünne Scheibchen von dunklen Trauben waren auf das Austernfleisch gelegt, fruchtig abgeschmeckter Bulgur gab mehr Mundgefühl und der Mikro-Sauerampfer steuerte seine feine Säure bei. Ein ganz hervorragendes Geschmackserlebnis!
Weiter ging es mit
SEA URCHIN
Marinated with Shrimp, Foie Gras and Chervil
Ein Gedicht - alle Zutaten sprachen für sich, jede schmeckte man einzeln heraus und zusammen bildeten sie dann eine fantastische Symbiose am Gaumen.
STURGEON
Sabayon with Chive Oil
Smoked with everything, Bagel Crumble, Pickles and Caviar
Dieses Gericht wurde in zwei Gängen präsentiert.
Zunächst gab es das Ei, gefüllt Sabayon, Schnittlauch-Öl und kleinen Würfeln vom geräucherten Stör. Sagenhaft lecker. Schade, dass dieser Gang nicht in einem Straußen-Ei serviert wurde... ;-)
Der zweite Stör-Gang machte, neben den tollen Komponenten, auch noch richtig Spaß.
Auf den eingesetzten Tellern waren lediglich ein wachs-weiches Wachtelei auf Bagel Krümel und ein lecker angemachtes Salatherz angerichtet. Die Scheiben vom Stör wurden auf dem Weg von der Küche zu unserem Tisch geräuchert. Die Cloche, unter dem sich dichter Rauch sammelte, dann erst am Tisch geöffnet. Dies bot natürlich auch eine tolle Showeinlage und es roch verführerisch nach frisch Geräuchertem. Weiter wurden dünne, getoastete Weißbrotscheiben gereicht, ein Döschen mit Frischkäsecrème und Kaviar, sowie ein Glas mit Gurkenstiften. Dann hieß es „Zugreifen“ - mal den Gurkenstift in das Döschen mit Kaviar und Frischkäse tunken, mal etwas Stör mit Ei, mal alles zusammen - dieses Gericht kombiniert sich jeder Gast individuell und gerade das macht den Reiz und die Genialität aus.
FOIE GRAS
Seared with Oats, Sage and Apple
Ich bemerke gerade, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Rückblickend war das der beste Gang im kompletten Menü. Die Leber in herausragender Qualität und auf den Punkt gebraten, bedeckt mit einer Art Gewürzkruste. Tiefe, warme Gewürze, welche aber nicht den feinen Geschmack der Leber überlagerten, sondern unterstützten. Darunter „schlotziger“ Hafer, ebenfalls mit Gewürzen, sowie mit Apfel aromatisiert und fantastisch in Geschmack & Konsistenz. Und dann noch diese süchtigmachende Soße - ganz großes Kino!
Es folgte der Gang
CARROT
Tartare with Rye Bread and Condiments
Wer sich bereits ein wenig für das EMP interessiert hat, wird von diesem Gang sicherlich schon gehört haben. In den Berichten und Bewertungen, die ich im Vorfeld gelesen habe, gingen die Meinung sehr weit auseinander. Von grandios bis überflüssig.
Einer der Köche schraubte den Fleischwolf an unserem Tisch fest und verschwand wieder in der Küche.
Auf einem Holzbrett befanden sich neun unterschiedlich Würzmittel, sowie ein Fläschchen mit Karottenvinaigrette und Senföl.
Mit zwei Karotten in der Hand kam der Koch zum Tisch zurück. Während er diese durch den Fleischwolf drehte, erklärte er, dass sie die Karotten selber angebaut haben und, dass dieser Gang als Hommage an die Steakhouse-Kultur in New York gerichtet sei. Der Karottengeschmack war wirklich unglaublich intensiv und in Verbindung mit den einzelnen Zutaten entwickelten sich mit jeder Gabel neue Geschmackserlebnisse. Sicherlich lebt dieser Gang zu einem gewissen Teil von der Zelebrierung am Tisch. Jedoch ist die Karotte in dieser Form ein ebenbürtiger Vertreter für das Rindfleischtartar und alles in Allem trug dieser Gang sehr viel zum Gesamterlebnis EMP bei.
Bevor es mit dem nächsten Gang weiter ging, präsentierte man uns einen gebackenen Kürbis, welcher auf einer herbstlich dekorierten Platte in Szene gesetzt wurde. Der Koch erklärte, dass sie den Kürbisdeckel abgenommen, die Kerne entnommen und mit Kräutern (Lorbeer, Thymian etc.) wieder gefüllt haben. Der Deckel wurde mit Sauerteig wieder aufgesetzt und im Ofen gebacken. Ein herrlicher Duft kam uns entgegen, als er den Deckel vor unseren Nasen aufbrach. Der Koch ging zurück in die Küche und wir bekamen zunächst:
LOBSTER
Poached with Brussel Sprouts and Guanciale
Gut pochierter Hummer mit einer dünnen Scheibe Guanciale und einer hervorragend abgeschmeckten Soße ließen uns dahinschmelzen. Rosenkohl fanden wir in Form von „roh gehobelt“, „glasiert“, „als Püree“ und „keine Ahnung“ auf dem Teller. Bei der letzten Zubereitung („keine Ahnung“) weiß ich nicht, ob er getrocknet oder gar frittiert wurde.
SQUASH
Roasted with Cranberries, Chanterelle and Sourdough
Der zuvor gezeigte Kürbis wurde uns nun, fein auf dem Teller angerichtet, serviert. Ein weiterer Beweis dafür, dass es für großartige Gerichte nicht unbedingt Fleisch oder Fisch braucht. Die Kürbisstücke schmeckten intensiv nach den verwendeten Kräutern, die Pfifferlinge in Form eines Pürees unterstützten das Gericht durch weitere erdige Noten. Spitze! Jeder Gang war bis jetzt ein Highlight und auf dem gleichen, hohen Niveau.
Auch der Hauptgang begeisterte und schloss nahtlos an die Qualität der vorherigen Gänge an.
DUCK
Grilled with Onions and Beets
Roasted with Turnip and Huckleberries
Zunächst wurde uns von einem weiteren Koch die Ente im ganzen präsentiert. An dieser Stelle möchte ich auch mal unsere Begeisterung für die Interaktion der Köche zum Ausdruck bringen. Ich nehme an, dass die jeweiligen Postenchefs „ihre“ Gerichte dem Gast präsentieren und erklären dürfen. Auch der fachkundige Service agierte tadellos, diskret aber immer präsent. Alles lief wie in einem Schweizer Uhrwerk - vielleicht lag es an der Herkunft des Küchenchefs? ;-)
Der erste Teil des Enten-Hauptgangs war ein BBQ.
Gegrillte Mini rote Bete und ein Enten-Würstchen mit Perlzwiebeln wurden über Holzkohle gegrillt und eindrucksvoll in einem Mini-Grill in Szene gesetzt.
Auf dem Teller dann eine Tranche butterzarte und großartig gewürzte Entenbrust. Mit Honig glasiert und mit reichlich Koriander, Kreuzkümmel, Szechuan Pfeffer & Lavendel gewürzt. Eine wahre Geschmacksexplosion. Dazu eine ähnliche exzellente Jus wie bei der gebratenen Gänseleber. Die Rübchen und Huckleberries rückten angesichts dieser tollen Ente in den Hintergrund. Aber hier darf auch mal das Fleisch ganz und gar im Mittelpunkt stehen - wie toll Gemüse allein schmecken kann haben wir ja bereits bei zwei vorherigen Gängen schmecken dürfen.
Der Käsegang war ganz nach unserem Geschmack.
GREENSWARD
Pretzel, Mustard and Champagne Grapes
Der Kellner positionierte einen großen Picknick-Korb auf unserem Tisch, gab uns einen Flaschenöffner im EMP-Design und forderte uns auf den Inhalt zu erforschen - die Erklärungen würden gleich folgen.
Wir packten also aus: Eine Flasche Bier, welches exklusiv für das EMP gebraut wurde, ein Glässchen mit süß-scharfem Senf, eine warme Laugenstange und auch die nötigen Utensilien wie Gläser, Besteck und Porzellanteller in Papteller-Optik.
Der Greensward Käse (aus Kuhmilch) wurde, wie es auf der Website des Produzenten steht, „ursprünglich inspiriert, und hergestellt für Daniel Humm und sein kultiges New York Menü im EMP, es kombiniert die einzigartige Eleganz der Stadt und des Landes.“ Perfekt temperiert fanden wir ein Stück des Käse in einer Holzbox. Einen üppigen Käsewagen haben wir nicht vermisst. Im Gegenteil - mehr Käse braucht es in einem solchen Menü gar nicht. Ein weiterer Gang, der viel von der Präsentation und der eigenen Entdeckungslust lebt - aber auch geschmacklich große Begeisterung hinterlässt.
MALT
Egg Cream with Vanilla and Seltzer
Nun ging es mit den süßen Leckereien los und diese wurden mit einer Interpretation der typischen New Yorker „Egg Cream“ eingeleitet. Eine fast schon vergessenes Traditionsgetränk, welches in New York seinen Ursprung fand und im EMP wieder zu neuem Leben erweckt wird. Die Kellnerin, die diese Köstlichkeiten an unserem Tisch zubereitete, erklärte, dass Egg Creams nie mit Eiern und Sahne zubereitet wurden, sondern, dass sich der Name wahrscheinlich von „Chocolate „Echt“ Cream“ (Echt = als deutsches Wort, für „real“) zu „Chocolate „Egg“ Cream“ veränderte. In der EMP Version wird die „Chocolate“ durch „Vanilla-Syrup“ und die „Echte Cream“ durch „Milch einer New Yorker Farm“ ausgetauscht - den Namen der Farm hab ich nicht richtig verstanden, aber ich vermute mal stark, dass die Milch von einer Farm in der Nähe NYC‘s kommt. Außerdem noch einige Tropfen Arganöl und dann wurde das ganze unter schnellem Rühren mit Soda aufgesprudelt um es „fizzy“ zu machen. Ein gelungener Übergang zum süßen Part.
APPLE
Sorbet with Bay Leaf Crème Brûlée and Hibiscus
Das Lorbeeraroma passte erstaunlich gut zur buttrigen Crème Brûlée und das zart-schmelzende Apfelsorbet tat ihr Übriges um die gewünschte Frische ins Dessert zu bringen. Hibiscus in Form von einem Gel brachte eine weitere Dimension von Fruchtigkeit. Ein überaus gelungenes Dessert. Allerdings scheint „Apfel“ die Lieblingszutat von Humm zu sein... der aufgeweckten Leser sollte es schon gemerkt haben ;-)
SWEET POTATO
Cheesecake with Honey and Chestnut
Dies ist nun das Dessert mit dem Kartentrick. Auch davon hat sicherlich der ein oder andere bereits gehört. Ich möchte an dieser Stelle auch nicht den Kartentrick schildern, denn ich denke, es wäre, als wüsste man das Ende eines Films bevor man ihn sich angeschaut hätte. Und schließlich sollte jeder den gleichen Überraschungseffekt erleben dürfen, sofern er die Möglichkeit hat im EMP zu speisen.
Leider muss ich zugeben, dass nach meinem Geschmack (und auch dem meiner Frau) der Kartentrick das Beste an diesem Dessert ist. Vielleicht liegt es an unserem europäischen Gaumen - aber uns war die Kombination einfach zu pappig süß.
PRETZEL
Chocolate Covered with Sea Salt
Die Kombination aus einem mit Schokolade überzogenen Brezel und Meersalz schmeckt hervorragend. Da wir aber zu diesem Zeitpunkt überaus gesättigt waren, packten wir die „Pretzel“ in die Box mit den:
„CHOCOLATE“
Sweet Black and White Cookie with Cinnamon
Das Menü endete so, wie es anfing - mit einem Päckchen Black & White Cookies. Diesmal in der süßen Variante mit Schokolade und Zimt. Wie am Anfang sehr gelungen, aber diesmal war es das Signal für „BYE, BYE, SEE YOU NEXT TIME IN NYC“ ;-)
Nachdem wir unseren Kaffee genossen hatten, fragte ich die Kellnerin noch um einen letzten Wunsch. Wir baten sie, einen kurzen Blick in die Küche werfen zu dürfen. Nicht um Daniel Humm zu sehen - dieser saß an dem Abend nämlich zusammen mit Will Guidara selbst an einem der Tische. „Selbstverständlich“ hieß es, wir sollten der Küche doch nur bitte einen kurzen Moment geben und dann werden wir gerne dort erwartet. Ups, vielleicht doch kein passender Moment? Gerade viel Stress in der Küche? Nach 2-3 Minuten wurden wir von einer anderen Kellnerin abgeholt und in der riesigen Küche angekommen, sahen wir auch warum die Küche einen kurzen Moment brauchte. Im Eleven Madison Park wird man nämlich nicht einfach kurz in der Küche rumgeführt... Nein, man bekommt sogar noch einen Überraschungscocktail serviert, während man den Köchen bei der Arbeit zu sehen darf. Eine junge Pâtissière bereitete uns eine ausgefallene Variante des „Aviations Cocktail“ zu. Welch ein gelungener Abschluss.
(Leider durfte ich nur ein Video einfügen - das Video vom Aviation Cocktail finden Sie im ersten Kommentar)
Fazit:
Wir erlebten einen grandiosen Abend in einem zurecht besten Restaurant der Welt. Eine tolle Atmosphäre von Anfang bis Ende. Ein einzigartiges und wohlschmeckendes Menü, dass seines Gleichen sucht. Unglaublich kreativ in der Darbietung und Präsentation der Gerichte. Perfekter, unaufdringlicher Service, der ungezwungen agierte und sich auf eine sympathische Art um einen kümmerte. Und eins kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Wenn mein nächster New York Besuch ansteht werde ich mir wieder eine Erinnerung ins Handy machen - genau 28 Tage im Voraus um 9 Uhr New Yorker Zeit - und wenn es sein muss werde ich auch länger als 25 Minuten in der Warteschleife der Reservierungshotline hängen. Hauptsache ich bekomme wieder die Gelegenheit in diesem wundervollen Restaurant zu speisen.
Und hier noch das Video zum Aviation Cocktail
Sowie einige Bilder aus der Küche