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Sein**, Karlsruhe

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  • Sein**, Karlsruhe

    Es sei dem sympathischen Thorsten Bender von Herzen gegönnt, dass der Guide Michelin seinem kleinen Restaurant in der Karlsruher Weststadt in diesem Jahr den zweiten Stern verliehen hat. Unvergessen Benders Reaktion bei der diesjährigen Michelin-Gala, als der Moderator ihm im Saal so nebenbei sagte, dass man seinen Stern auch verlieren könne. Im Restaurant gibt sich Bender locker, jovial und ist stolz darauf, sein heimliches berufliches Ziel erreicht zu haben (schließlich hat er auf seinem Unterarm Platz gelassen für weitere Sterne-Tattoos – das zweite ist schon drauf!).

    Das „Sein“ hat nur sechs Tische, die Küche drei Köche und der Service wird allein von der bestens aufgelegten Franziska Dufner bestritten. Nebenan gibt es noch das Bistro Margarete, das ebenfalls vom Michelin ausgezeichnet worden ist, nämlich mit einem Bib Gourmand. Eine große unternehmerische Verantwortung, die Bender mit seinem Wunsch nach Selbstständigkeit auf sich genommen hat, aber nun durch die Aufnahme in die Zwei-Sterne-Liga einen deutlichen positiven Schub bekommen hat.

    Bender offeriert zwei Menüs, ein vegetarisches, das er mit „Grünzeug“ überschreibt, und ein „Querbeet“, das auch Fisch- und Fleischgerichte berücksichtigt. Beide Menüs sind 6-gängig, wobei diese Anzahl gesetzt ist, das heißt Reduzierungen sind nicht möglich und ein Austausch von einem zum anderen Menü darf nur „auf gleicher Ebene“ geschehen (also kann etwa der 2.Gang des „Querbeet-Menüs“ nur gegen den 2. Gang des „Grünzeug-Menüs“ getauscht werden). Auf diese Weise kann Bender ziemlich genau Einkauf und Kosten kalkulieren. Das ist wirtschaftlich nachvollziehbar und für uns auch in Ordnung so.

    Wir entscheiden uns für das „Querbeet-Menü“ und werden zunächst von sechs „Lustmachern“, wie Bender sie nennt, überrascht. Das ist aufwendig gearbeitetes Fingerfood mit deutlich asiatischem Touch. Solche Snacks sollen wohl wirklich „nur“ Lust machen, da mit einem Biss gar nicht alle Nuancen dieser aufwendigen Kreationen schmeckbar sind. Hier und da wünschte man sich jedoch, diese Happen ausgearbeiteter serviert zu bekommen, um sich ihnen intensiver widmen zu können. So ist es ein bloßer Spot, der schon durch den nächsten Reiz abgelöst wird. Meines Erachtens brauchte es vor dem Menü, dem ja schließlich noch ein Amuse vorangestellt ist, diese Vielfalt gar nicht, da man ihr kaum gerecht werden kann. Aber es macht natürlich viel her, blendet jedoch vielleicht auch ein bisschen.

    So lesen sich jedenfalls Benders „Lustmacher“:

    Gyoza . Kimchi . Hoisin
    Kichererbse . salzige Zitrone . Piment d´Espelette
    Romanasalat . Frischkäse . Zitrusfrucht
    Kohlrabi . Reisessig . Wasabi
    Karotte . Verbene . Kumquat
    Birne . Bergamotte . Pistazie

    Als „Einstimmung“ wird neben ausgezeichnetem Bockshornkleebrot dieses serviert:

    Takoyaki . Kräuterseitlinge . Rettich
    Miso . Kokos . Orange

    Vielleicht ein Wort zu den Takoyaki: Nach den zahlreichen Snacks setzt dieses mächtige gefüllte Teigbällchen einen gewissen Sättigungspunkt, zumal der dicke Teig dominiert und von der Füllung kaum etwas zu schmecken ist. Ein Schluck Wasser und ein noch kräftigerer Schluck Champagner machen aber gerne wieder zu neuen Herausforderungen bereit.

    Unser Menü:

    Fjord Shrimps . Buttermilch . Koriander

    Elsässer Gänseleber . Shiso . Grüner Pfeffer

    Tristan Languste . Yuzu . Imperial Kaviar Selektion „sein“

    Bretonischer Wolfsbarsch „Ikejime“ . Rotkohl . Jalapeño

    Mieral Ente . Weißer Spargel . Rote Zwiebel

    Mara des Bois Erdbeere . Schafsjoghurt . Waldmeister

    Nach den zahlreichen Einstimmungen sind die einzelnen Gänge angenehm portioniert, so dass man mit Freude und Lust die Menüfolge genießt. Was Bender in den letzten Jahren auf die Teller gebracht hat, war dem Michelin seit 2019 ein Stern wert. Nun hat er dem Restaurant den zweiten verliehen. Zu Recht? Schauen wir mal aus unserer, natürlich höchst subjektiven Sicht:

    Der erste Gang ist recht puristisch angerichtet und stellt ein herausragendes Produkt in den Mittelgrund. Die rohen Shrimps bestechen durch ihre jodige Frische und entfalten eine wunderbare Cremigkeit auf der Zunge. Die Buttermilch ist mit einem Korianderöl aufgeschlagen und damit ein idealer Begleiter der zarten Crevetten.

    Die Gänseleber wurde zwar als Mousse annonciert, aber in zwei kleinen festen Scheiben mit einem Shiso-Sorbet serviert, auf denen ein feiner Roggenchip thronte. In der Tat wäre eine zarte Mousse passender gewesen, da die Gänseleber so gar keine Liaison mit dem rosa Sorbet eingehen wollte, zumal sie sehr wenig abgewürzt oder gar aromatisiert war.

    Das kleine Stück von der Languste war von bester Qualität und hatte es eigentlich nicht nötig, mit Kaviar getoppt zu werden, zumal dieser nur leicht gesalzen und recht ausdrucksarm war. Wenn Kaviar für ein Gericht keinen kulinarischen Mehrwert bringt, sollte man auf dieses doch recht kostenintensive Produkt lieber verzichten. Der Yuzu-Sud mit Thai-Basilikum-Öl war einfach nur köstlich, so wie alle „soßigen“ Grundlagen von Benders Gerichten herausragend sind und seine Handschrift prägen.

    Dies gilt auch für den aus Rotkohlsaft hergestellten Sud zum Wolfsbarsch, der mit Sesam- und Reisöl gebunden wurde. Der Rotkohl wurde von der Küche über einige Tage mit Salz, Zucker und Himbeeressig fermentiert und war so ein spannender Begleiter zum zarten Fisch.

    Bester Gang im Menü war die Ente, die „selbstverständlich“ von einem ausgezeichneten dichten Jus umgeben war. Die kleine Stange Spargel wurde leicht angebraten serviert; auf ihr thronte ein zartes Ragout vom Keulenfleisch. Ein Chutney von der roten Zwiebel krönte diesen sehr guten Fleischgang.

    Erdbeeren, Schafsjoghurt und Waldmeister sind die Bestandteile des Desserts. Punkt! Nicht mehr und nicht weniger. Wäre sicherlich ein angemessener Nachtisch im benachbarten Bistro. Hier im Gourmet-Restauarnt dürfte man eigentlich etwas mehr erwarten.

    Was mit den „Lustmachern“ begann, sollte mit den „Glücklichmachern“ ausklingen:

    Crunchy Joghurt Mini Milk
    Madeleine
    Bargamotte & Kardamon
    Gurke & Limette
    Himbeertartelette

    Das war´s, und das waren jede Menge unterschiedlichster Eindrücke. Festzuhalten bleibt, dass die Küche einen immensen Aufwand betreibt, um letztlich 19 Kreationen auf die Tische zu bringen. Das mag zwar beeindruckend sein, aber aus unserer Sicht in dieser Umfänglichkeit nicht nötig, vielleicht sogar nicht förderlich. Die Konzentration der Küche muss selbstverständlich auf dem eigentlichen Menü liegen und sollte nicht von zu viel „Showeinlagen“ gebunden werden. Wie beschrieben könnte der eine oder andere Gang des Menüs noch besser ausbalanciert und differenzierter dargeboten werden, um die Ideen Benders verständlicher zu vermitteln. Die eingesetzten asiatischen Ingredienzien sorgen durchaus für spannende Geschmacksverbindungen und geben dieser Küche ein gewisses Gepräge, das aber inzwischen nichts Besonderes mehr ist, da viele Kollegen Benders gerne die Vielfalt der asiatischen Geschmacksbilder nutzen.

    Ein Satz zum Dessert und den „Glücklichmachern“: Ein gelernter Patissier würde diesem Restaurant sicherlich gut tun und den Abschluss des Menüs kongenialer gestalten können.

    Ein Abend im Restaurant Sein gehört zweifelsfrei zu den besonderen. Das kleine Restaurant strahlt eine wohltuende Intimität aus, der Service von Franziska Dufner ist höchst erfreulich und Thorsten Bender nebst mitservierendem Sous-Chef sind den Gästen so angenehm zugewandt, dass schon von da her ein entspannter Abend garantiert ist.

    Gretchenfrage nach den zwei Sternen: Hätten wir nicht gewusst, dass der Michelin dem Restaurant gerade den zweiten Stern verliehen hätte, würde ich hier wohl schreiben, dass das „Sein“ sicherlich im oberen Bereich der Ein-Sterne-Restaurants zu verorten wäre. Das aktuelle fachliche Urteil des Michelin lässt mich natürlich schwanken und schwach werden. Sagen wir es mal so: Der Michelin hat mit der Vergabe des zweiten Sterns sicherlich das große Potential Thorsten Benders erkannt und auch gewürdigt. Wir wollen es ihm gerne gleichtun und sind uns sicher, dass nach den Wochen der berechtigten Euphorie im Restaurant eine Konsolidierungsphase einsetzt und die Küche sich auf das Wesentliche konzentrieren wird, um die einzelnen Gerichte des Menüs noch feiner zu justieren und dort die Höhepunkte eines Diners im „Sein“ zu platzieren.


  • #2
    Danke für den aufschlussreichen Bericht, lieber merlan.

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