Seitdem Jürgen Wolfsgruber in unserem Podcast mit dem kulinarischen Jahresrückblick 2020 mitgemacht hat, habe ich mir vorgenommen, beim nächsten München-Besuch in seinem Sparkling Bistro zu speisen. Nun hat es geklappt – seit knapp einem Jahr führt er das Restaurant in einer kulinarischen Doppelspitze mit Johannes Maria Kneip, der zuvor im Mural ebenfalls in einer Doppelspitze einen Stern erreicht hat. Das Sparkling Bistro selbst liegt etwas versteckt in den Höfen der Amalienpassage, je nachdem von welcher Seite man kommt, kann man es schon übersehen: ich laufe erste mal gezielt am Restaurant vorbei, finde dann aber doch den Weg hinein. An dem Abend ist nicht viel Betrieb, was insgesamt zu einer lockeren Genussatmosphäre führt, aber ich gehe mal davon aus, dass der Service, der von allen Beteiligten im Restaurant abgewickelt wird, sonst nicht weniger entspannt unterwegs ist und so der Bezeichnung Bistro gerecht wird. Kulinarisch ist es ein ausgewachsenes Restaurant. Zunächst gibt es drei Snacks:
Wilder Broccoli -hat mit der Ummantelung einen schönen nussigen Geschmack.
Kohlrabi – Blutwurst - die Blutwurst ist selbstgemacht. Sie ist nicht zu würzig abgeschmeckt, so dass der Kohlrabi mit seiner feinen Schärfe gut schmeckbar ist.
Hühnerhaut - Eselkäse – Trüffel – hat einen vollmundigen, runden Geschmack, da die Bestandteile sich zu einem Gesamtgeschmack zusammenfügen. Erdigkeit und leichte Würze bzw Salzigkeit vom Käse bestimmen die Aromatik.
Beignet - Rauchaal – Kaviar – Normalerweise schluckt Teig für mein Empfinden immer viel Geschmack, hier ist das aber minimal – durch das Fett des Aals ist der Kaviargeschmack schön präsent.
Champagner von André Heucq ist im Moment recht präsent in der Sternegastronomie, es gibt verschiedene Cuvées. Der Blanc des Meunier gefällt mit besonders gut.
Münchener Beeten - Sanshopfeffer – Die zu einer Rose angerichteten Bete sind ziemlich scharf-säuerlich abgeschmeckt. Dadurch geht der Renke-Kaviar etwas unter. Aber die Kombination hat einen Wachmacker-Effekt für die Zunge.
Das Brot stammt vom „Bäcker um die Ecke“, Julius Brantner, der offensichtlich das traditionelle Handwerk pflegt und es schmeckt wunderbar.
Puntarella - Brot - Wermut - Könnte man als Hard-Rock-Variante von Spargel mit Hollandaise bezeichnen. Die Puntarella ist deutlich bitterer als Spargel selbst wenn dessen Saison zu Ende geht und mehr Eigengeschmack hat. Kräftige Bitterstoffe und eine auf Säure gut abgeschmeckte cremige Sauce machen den Reiz des Gerichts aus. Leider sind die Puntarellen-Stückchen recht groß, so dass das Gericht grober erscheint, als sein muss. Ich bemühe mich, die Stücke mit der Gabel zu zerteilen und empfinde es gleich als viel harmonischer.
Der 2018er Frühlingsplätzchen GG von Schäfer-Fröhlich ist ohne Frage ein hervorragender Wein. Zum Gericht ist er mit aber etwas zu komplex, mit lauter Feinheiten und auch noch mancher Unwucht ob seiner Jugendlichkeit, ist er für das Gericht für meinen Geschmack zu laut. Der Charakter eines Nahe-Riesling von der Schäfer-Fröhlich-Machart passt aber schon sehr gut, es hätte hier vielleicht nicht das GG sein müssen. Aber eine große Freude, diesen Wein zu trinken ist es natürlich schon…
Kaisergranat - Rotkraut - Erdnuss – Dieses Gericht sieht Jürgen Wolfsgruber als eines seiner Signature Dishes an. Allein die Optik finde ich, rechtfertigt die Einstufung schon. Der farbliche Kontrast ist ein Hingucker und auch geschmacklich spiegelt sich der Kontrast wider: Der Kaisergranat ist minimal gegrillt, nur von einer Seite. Wenn es nach ihm ginge, sagt Jürgen Wolfsgruber, könne er auch roh sein, aber ich denke, ein fester Biss ist vorteilhaft, da man dann mehr kaut und sich die feine Süße des Kaisergranats besser zeigt. Er ist kräftig gewürzt mit Piment d’Espelette. Das Rotkraut ist mit einem recht säuerlich abgeschmeckten Saft und als Salat auf dem Teller. So entwickelt sich mit der Chili-Schärfe eine Kimichi-Assoziation, was Schärfe, Saftigkeit und Kohlgeschmack angeht. Die Erdnuss harmonisiert die Kontraste und etwas zusätzlicher Biss durch die knackige Nuess steht dem Gericht auch gut an.
Der 2018er Arbois Chardonnay von Rolet passt mit seiner Struktur und dem typischen Jura-Charakter sehr gut zu dem Gericht.
Gänseleber - Zirbe - Sauerteigbrioche – Die Gänseleber ist leicht gegrillt und damit außen dezent angeschmolzen. Das hat den Nachteil, dass die Kerntemperatur relativ gering geblieben ist und somit die Leber schnell abkühlt. Auch der Trüffel ist kühl, so dass sein Geschmack zwar gut eingebunden ist und die Erdigkeit das Gericht nicht zu kraftvoll macht. Aber insgesamt verliert dadurch das Gericht zu schnell an Temperatur. Von dem Zirbenöl kommt ein waldiger Geschmack, der sich sehr gut mit der Erdigkeit des Trüffels verbindet. Insgesamt ist das ein wirklich spannendes, interessant kombiniertes Lebergericht, wenn die Temperaturproblematik nicht wäre. Auch das Sauerteigbrioche überzeugt mich nicht unbedingt, hier fehlt irgendwie Salz und/oder Fett. Zwar soll es relativ neutral sein, sagt mir Jürgen Wolfsgruber, was ich auch verstehe, aber der Geschmack ist mir dann doch zu neutral. Mir schmeckt das Gericht mit dem begleitenden Brot besser. Aber der Gang hat definitiv Potenzial, weil die Aromenkombination und die Präsentation sehr reizvoll ist.
Dazu passt natürlich ein Wein mit Restsüße, die aber nicht zu plakativ sein darf: also ein Scharzhofberger Kabinett von den Bischöflichen Weingütern. Die Aromatik erinnert mich an Zitrus- bzw. Orangenschale, was die Fruchtigkeit des Weins und Erdigkeit aus dem Gericht gut zusammenbringt.
Birnbaum Goldforelle - Kopfsalat - Meyerzitrone – Die Goldforelle ist von einer Seite gegart, von der anderen roh. Das heißt, er hat ein ähnliches Spiel auf gegarten und ungegarten Anteilen wie der Kaisergranat. Dadurch kommt der klare Geschmack der Forelle sehr gut zur Geltung. Es gibt dazu eine schöne, üppig portionierte Beurre Blanc mit feiner Säure. Der warme Salat, der ein ebenso feines Aroma zeigt ergänzt den harmonischen Eindruck. Das Gericht trägt deutlich die Handschrift von Johannes Maria Kneip, weil hier die Aromen feiner ineinander verwebt sind als bei den vorherigen Gängen. Sehr gelungen.
Der Weißburgunder Kloster am Spitz von Thomas Schwarz gefällt mir dazu sehr gut. Es ist jetzt kein hochkomplexer Wein, aber er hat eine tolle Struktur, die das Gericht sehr gut ergänzt.
Holunderblütenessig - Schafsjoghurt – ist eine Erfrischung die Freude macht. Die Säure lässt den Holunder nicht zu plakativ wirken und der Schafsjoghurt hat wiederum eine rundere Säure als üblicher Joghurt.
Hokkaido Wagyu - Poverade - Morchel – Das Wagyu ist minimal gegrillt und hat so einen perfekten Geschmack und einen roten Kern. Das Fett entwickelt sehr schön seine Wirkung im Mund und kann mit dem leicht bitteren Geschmack der Poverade und dem typischen Morschel-Geschmack jedenfalls gut harmonieren. Ein wundervoller Hauptgang, der sehr ebenso gut das Produkt wirken lässt, aber es doch so spannend begleitet, dass man von einem optimal komponierten Gericht sprechen kann.
Der La Falluca Costa Toscana Cabernet ist ein sehr gut geeigneter Begleiter für dieses Gericht.
Bei den Desserts verlässt mich ein wenig das Erinnerungsvermögen. Aber sie sind fein und frisch gestaltet und passen zum Level der vorherigen Gerichte.
süße Tomate - Petersilie
Frischkäse - Kaffeekombucha - Rübensirup
„Mehlspeisen“
Dazu gibt es zunächst einen Scharzhofberger Sekt von den Bischöflichen Weingütern. Es stellt sich natürlich die Frage, warum man aus solch einer Paradelage einen Sekt produzieren muss, aber qualitativ ist er in Ordnung. Sehr schön ist der zweite Süßwein, Syss 2.0 von Thomas Schwarz, Kloster am Spitz.
Das Sparkling Bistro „perlt“: die zwei Charaktere in der Küche, Jürgen Wolfsgruber (er nennt sich selbst einen „Haudrauf“) und Johannes Maria Kneip, der feiner und filigraner arbeitet, passen offensichtlich gut zusammen: Die Gerichte kommen entweder von der einen oder der anderen Seite und finden jeweils eine passende Mitte, die kein „fauler Kompromiss ist“ und die die Gerichte geschmacklich interessant macht, aber auch gleichzeitig den Eigengeschmack der verwendeten Produkte sehr gut zur Geltung bringt, sie entweder unterstreicht oder in eine Gesamtharmonie einfügt. Den eher fein angelegten Gerichten fehlt es nicht an Wumms, und den kräftigeren nicht an Finesse. Es scheint so, als würden sich die verschiedenen Zugänge sehr gut beflügeln. Es wird hier mit Produkten erster Güte gearbeitet: Gänseleber, Forelle und Wagyu waren hervorragend und dies kommt auf der Zunge auch an. Gleichzeitig zeigen die Gemüsegerichte genau die gleiche Qualität im Umgang mit dem Produkt. Das Sparkling Bistro ist ein sehr spannender Einsterner, dessen kulinarische Linie, die so reizvoll ist, dass man sich mit manchem Zwei-Sterner locker messen kann.
Zum Genuss dieses Menüs war ich freundlicherweise von Jürgen Wolfsgruber eingeladen.
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