Vor gut einem Jahr hat Hendrik Otto das Lorenz Adlon Esszimmer verlassen. Sein Nachfolger, Reto Brändli dürfte wohl wenigen in Deutschland ein Begriff gewesen sein, als er als dessen Nachfolger vorgestellt wurde, da er aber in St. Moritz ähnliche Bewertungen erreicht hatte, wie sie auch das Lorenz Adlon Esszimmer damals führte, kombiniert mit den ersten optischen Eindrücken, erwartete ich vor unserem Besuch mit dem Gourmet-Club Anfang März dort keine grundlegenden Veränderungen, sondern allenfalls eine leicht andere Interpretation der klassisch fundierten, modern interpretierten französisch orientierten Küche.
Im Service-Team um Oliver Kraft und Sommelier Hans-Martin Konrad hat sich zudem auch wenig geändert, sodass die genussvolle Gestaltung des Abends auch an diesem Abend gesichert sein sollte. Und schnell wurde an dem Abend deutlich: Ich lag mit meinen Annahmen nicht verkehrt.
Auf zwei Tische aufgeteilt, saßen wir in der Bibliothek des Restaurants. Der Raum ist eine sehr gute Zwischenlösung, einerseits ist man nicht losgelöst vom Restaurantbetrieb, hat aber dennoch den Eindruck eines etwas privateren Raums.
Als erste Snacks werden Froschschenkel auf einem Räuchergrill. Dazu gibt es in einem kleinen Schälchen einen hervorragenden cremigen Dip aus schwarzem Knoblauch, der dieser klassischen Kombination einen sehr guten Touch Modernität verleiht. Zweiter Snack ist Tatar mit Kohlrabi, Räucherfischcreme und Kaviar. Der dritte Teil des Auftakts ist eine pochierte Auster auf dem Teller, die als Gin Basil Smash interpretiert wurde. Dadurch verliert meines Erachtens der Eigengeschmack der Auster allerdings zu sehr an Präsenz
Hierzu wähle ich einen „Les Terres Rosé“ Grand Cru Extra Brut Champagner von Pierre Paillard-Bouzy.
Als zweiten Gruß gibt es eine Rolle mit Pilzfüllung und ein Eigelb mit Champignoncreme, Spinat und kräutrigen Noten – schon die Zutaten sagen: das muss ein Gaumenschmeichler sein und so ist es aus.
Arktischer Saibling - Avocado | Jalapeño | Zwiebel – optisch ist das ein expressiver Menüstart: Die farbenfrohen Saucen lenken das Auge etwas von dem Saibling ab. Auf der Zunge hat dieser jedoch einen prägenden Anteil an dem Gericht. Denn innen ist er noch roh und außen durch Beize gegart, was ihm eine Textur und geschmackliche Intensität verleiht, die sich charmant mit der Nussigkeit der Avocadocreme verbindet. Dies hält den Fischgeschmack recht lang im Mund. Dadurch ist das Gericht bestens balanciert. Denn die rote Zwiebelsauce ist ziemlich säuerlich und gibt dem Gericht einen gewissen Ceviche-Charakter. Auch das Koriander-Öl passt grundsätzlich gut dazu, nur stellenweise – je nachdem wie viel davon mit einem Bissen in den Mund kommt – ist es für mich eine Spur zu kräftig. Etwas Mango in Scheiben und als Creme, sowie die Schärfe der Jalapeño fügen sich gut in die Aromenkonstruktion ein. Dazu gibt es noch einen Cracker mit Saiblingskaviar.
Der 2017er Grüner Veltliner Hochrain von Veyder Malberg aus Spitz in Österreich ist dazu ein frischer und sehr gut strukturierter Begleiter, der angesichts der Intensität und der Säure des Gerichts auf vornehme Zurückhaltung setzt.
Bio Entenleber aus der Landes - Rote Bete | Hibiskus | Szechuanpfeffer – Ein klassisches Dreierlei von der Entenleber, die hier insgesamt nicht zu süß wird. Das Eis hat eine angenehme pfeffrige Würze. Die Creme Brûlée spielt dann etwas mehr mit der Süße und der Duftigkeit des Hibiskus. Die Terrine auf dem Hauptteller wird von redhydrierter Rote Bete begleitet, die einen speziellen Biss bekommt und dadurch sehr lange mit ihren feinen, erdigen Aromen im Mund präsent ist, was die „Schwere“ der Entenleber auf ein Minimum reduziert. Dazu kommt eine opulente, buttrige Brioche, das einfach nur beeindruckend ist. Ich bin nicht als einziger in unserer Runde schwer begeistert von diesem Gang. Es macht große Freude, hin und her zu probieren, die verschiedenen Aromen mit der Entenleber zu kombinieren und immer wieder einen Bissen der herausragenden Brioche dazu zu genießen.
Der Maury A.O.P. Hors d‘Age 15 Ans von der Domain Pouderoux aus dem Roussillon hat genau das Maß an Rotfruchtigkeit und Süße und Würze, die zu dem Gang passt.
Seezunge aus Guilvinec - Artischocke | Schwertmuschel | Petersilie – Die Seezunge sei doppelt gelegt, mit Petersiliencreme gefüllt und Sous Vide auf 34°C gegart, sowie in Nussbutter leicht angebraten, sagt Oliver Kraft und gießt warme Beurre Blanc mit frischer Säure von Zitrusfrüchten an. Dazu kommt ein Salat von Artischockensalat. Klar, dieses Gericht soll nicht richtig heiß sein, sondern allenfalls lauwarm. Beim Servieren ist die optimale Temperatur vielleicht noch so gerade vorhanden, aber von Bissen zu Bissen sinkt die Temperatur dann doch zu sehr, so dass gerade die grünen Aromen sich vermutlich nicht optimal entfalten und die Muschel kaum geschmacklich ins Gewicht fällt. Es ist lediglich zu erahnen, dass das ein frischer, grünlich geprägter und dank der Beurre Blanc und der Dicke des Fisch-Tranche generöser Gang sein könnte.
Ein hervorragender Begleiter, auch nach dem kräftigen Wein zuvor, ist der 2016er Bourgogne Blanc Cuvée de Perce-Neige von Laurent Ponsot. Ein frischer, bestens strukturierter Burgunder mit Tiefe.
Bretonischer Hummer - Schweinebauch | Spargel | Morchel – auch hier bleibt das Temperaturproblem bestehen. Auch dieser Gang ist lauwarm konzipiert, aber gerade die Morchel ist schon merklich kälter, weshalb sie nicht schön zu beißen ist und ihr Aroma nicht wirklich entfaltet. Das heißt, auch hier sind die Aromenstrukturen und die Abstimmung nicht so wahrnehmbar, wie es im optimalen Fall gedacht ist. Zudem ist der Hummer, da offenbar abgekühlt, etwas zäher zu kauen, als man es sich wünscht. Aber seine leichten Bitternoten passen sehr schön zu dem Spargel, das ist stimmig. Den Schweinebauch habe ich nicht explizit wahrgenommen, aber mit der Sauce ergibt sich doch eine stimmige Grundkomposition.
Der 2014er Vouvray Le Clos du Bourg demi-sec auf der Domain Huet passt mit leichter Süße und Reife sehr gut.
Wachtel - Jean Claude Miéral - Karotte | Estragon | Vadouvan – der Eigengeschmack der Wachtel spielt bei diesem Gericht eine untergeordnete Rolle. Hier geht es eher um etwas neutrale Fleischigkeit, die in Verbindung mit den beiden intensiven und kräftigen Saucem genutzt werden soll. Das ist die intensive, cremige Estragonsauce – kombiniert mit einem kräftigen Wachteljus. Beides verbindet sich zu einer aromatischen und intensiven Harmonie. Die Möhren führen zu leicht erdig-frischen Akzenten. Aromatisch ist das der kräftigste Gang des Menüs, der mir sehr gut gefällt.
Ganz wunderbar finde ich den 2018er Frühburgunder Recher Herrenberg von Jean Stodden. Das Holz ist erkennbar, aber sehr gut eingebunden und die Frucht ist angenehm präsent – trotz der Jugendlichkeit des Weins wirkt er sehr schön rund.
Lamm aus den Pyrenäen - Brokkoli | Salzzitrone | Rauchmandel – Das Lammstück ist gerade noch warm genug. Mit einem Nachschlag Sauce ist es hier aber in Ordnung. Das Gericht lehnt sich ein wenig an Lamm mit Gremolata an, dafür sorgt die Rauchmandel mit den frischen Elementen sowie einer Zironencreme. Der Brokkoli ist in allen möglichen Formen verarbeitet, in kleinsten Elementen, die eine Art Couscous darstellen. Auch die Stile sind sehr geschmackvoll eingearbeitet, sie schmecken schön frisch, vielleicht ein wenig wie grüner Spargel. Dadurch ist das Gericht angenehm „grünlich“ und frisch. Mir persönlich hätte es ruhig etwas „lammiger“, sprich mit Fettsattel sein können, aber es gibt sicher viele Gäste, die die etwas gemäßigter Variante sehr schätzen.
Der 2013er Châtauneu-du-Pape Clos de Papes ist ein schöner, dichter Wein, mir persönlich eine Spur zu kräftig und fruchtig, für den dagegen filigranen Lammgang.
Japanische Kirschblüte - Macadamia | Miso | Schmand – hier verbinden sich die Aromen zu einem kirschig-nussigen Gesamtensemble. Das ist stimmig und wohlschmeckend.
Der Kirsebaervin Reserve von Frediksdal intensiviert die kompakt-fruchtige Geschmackswahrnehmung zusätzlich.
Südtiroler Bratapfel - Pistazie Zimt Rum – Hier wird das typische Bratapfel-Feeling mit leicht veränderten Aromen aber dennoch eher traditionell interpretiert. Ein schönes, klassisch angelegtes Dessert.
Dazu ist mir die 2005er Graacher Himmelreich Auslese von J.J. Prüm fast eine Spur zu kräftig. Aber trotzdem, ist der Wein ein Hochgenuss.
Der 2005 Graacher Himmelreich Auslese von J.J. Prüm als Wein natürlich ein würdiger Abschluss dieser Weinreise. Zum Apfel fast eine Spur zu kräftig - aber doch nochmal ein Höhepunkt zum Schluß dieser Weinreise.
Reto Brändlis Küche gefällt mir auf Anhieb. Er verwendet die klassischen Luxusprodukte, verlässt sich aber nicht nur auf deren einnehmende Wirkung, sondern kombiniert treffsicher intensive Aromen mit ihnen. Trotz der Kraft der Aromen verschwindet der Produkteindruck in den Gerichten nicht. Dadurch ergibt sich eine schöne Mischung aus Wohlgeschmack und Komplexität, die mehr ist als die klassische Kombinationslehre. Bedauerlich, dass zwei Gänge wegen der etwas zu geringen Serviertemperatur ihr Aromenspektrum nicht voll entfalten können. Ohne dieses Problem würde ich das Lorenz Adlon Esszimmer mit vorn in der Spitzengruppe der Zwei-Sterne-Restaurants zeitgemäßer klassischer Prägung sehen.
Dazu trägt auch der angenehme, wie immer gekonnte und sympathische Service von Oliver Kraft und seinen Kolleginnen und Kollegen bei, der dem klassischen Ambiente des Lorenz Adlon Lebendigkeit und Vitalität verleiht. Hinzu kommt eine, für meinen Geschmack, hervorragende Weinbegleitung. Die Weine harmonieren mit den Gerichten, ergeben in der Abfolge aber auch eine sehr angenehme Weinreise mit unterschiedlichen Weintypen, ohne auch nur eine Spur gewollt, oder forciert zu wirken.
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