Unabhängig von dem Ergebnis unseres Besuches finde ich die Entscheidung des Michelin allein schon aus zwei formalen Gründen wichtig: endlich hat Berlin ein Drei-Sterne-Restaurant. Die Hauptstadt hat es schon längst verdient international als kulinarische Destination gesehen zu werden und es ist auch merkbar, dass die städtischen Einrichtungen und Senatsstellen die Fine Dining-Szene und ihr Potenzial für den Tourismus zumindest „auf dem Schirm“ haben, was man von anderen Orten in Deutschland bekanntermaßen nicht behaupten kann. Darüber hinaus ist nun auch die Nova Regio-inspirierte Stilrichtung unter den Drei-Sternrer vertreten, eine wichtige und zukunftsgerichtete Entscheidung, die sicherlich auch andere Köche ermutigt, diesen Weg weiterzugehen, der zu mehr Unverwechselbarkeit der deutschen Küche führen kann. Außerdem zeigt es endgültig, dass die Insignien der Fine Dining-Hotelrestaurants in Bezug auf die Innenausstattung auch in Deutschland nicht notwendig sind, um höchste kulinarische Weihen zu erreichen.
Gegenwärtig serviert das Rutz sowohl im Erd- wie im Obergeschoss die Fine Dining-Küche, eine sicher richtige Entscheidung, den Nachfrageschwung der Aufwertung halbwegs mitzunehmen – soweit dies gegenwärtig möglich ist. Der ganze Service-Ablauf erfolgt so ohne größere Abstriche, nur sind manchmal die Beschreibungen der Gerichte unter den Masken schlecht zu verstehen – zu lebendig ist die Akustik im Restaurant (oder vielleicht zu dämpfende die verwendeten Masken).
Das Menü beginnt mit einem Mouthcleaner mit Saiblingskaviar und viel Weizengras und Petersilienaroma, der sehr gut erfrischt.
Es folgen drei kleine Happen.
Marinierte Salzkräuter und fermentierte Linsen, auf einem Dinkelchip ist marinierter Minikohlrabi mit einer Creme aus Basis auf der Basis von Sonnenblumerkenen und gehobelte und getrocknete Rinderherzen mit geschmorten Karotten.
Die Salzkräuter schmecken wirklich deutlich nach Meer – und die röstige Sonnenblumencreme ergibt einen schönen Kontrast zu dem knackig-würzigen Kohlrabi.
Quellforelle Lardo & Bottarga, Blumenkohl – die Forelle ist nur leicht gebeizt und hat somit eine sehr zarte Konsistenz. Zudem lässt sich der Fisch sehr fein teilen und mit der Gabel bzw. dem Löffel portionieren. Der Lardo ist seit mehr als drei Jahren gereift und gibt dem Gericht eine gute Fülle. Der geflämmte Blumenkohl hat ist gut präsent und gewinnt ungewöhnliche Tiefe. Dies könnte auch durch die Kombination mit der Essenz aus Tomate und Fisch-Garum, der auch mehrere Jahre fermentiert ist, begründet sein. Die Kombination ist natürlich leicht, hat aber schon eine hohe aromatische Dichte, ich denke vor allem durch die Essenz und den Blumenkohl. Der Fisch bleibt etwas zurückhaltender.
Dorsch & Kombu Alge, Holunderblüte, Walnuss - Vorab gibt es aber einen Chip mit Broccoli und einer Fischercreme zusammen mit einem Schaustück vom Fisch in einem Blatt von der Kombu-Age. Es wird erklärt, dass der Fisch so bei 40 Grad unter der Wärmlampe gegart wird. Dabei sollen Algenbestandteile in den Fisch übergehen und ihn bzgl der Garung und dem Geschmack beeinflussen. Auf jeden Fall bekommt er so eine wunderbar wachsige Konsistenz und eine Optik wie Marmor. Dazu kommt wilder Brokkoli und eine Beurre Blanc mit Holunder. Darauf gehobelt sind Eigelb und Walnuss. Das Gericht ist einerseits geradlinig-schmelzig und harmonisch, hat aber doch einen gewisse Säuren-Anteil. Mir gefällt das sehr gut.
Muscheln & grüne Erdbeeren &Weizengras wirkt recht „übersichtlich“ in der Menge, hat aber doch viel feinen Geschmack. Auf dem Teller finden sich gegarte Schwertmuscheln, eine Muschelcreme und Meeresträuchen, die das Salz in dem Gang ersetzen sollen. Angegossen wird ein Sud auf Muschelbasis, ergänzt um das Weizengras. Der Geschmack der gesamten Kombination wirkt iodig -grünlich und tatsächlich betont er die „leisen Töne“, über die Marco Müller jetzt häufig spricht – wie in unserem Podcast zu hören ist.
Garum Ochsenherztomate & grüner Wacholder zeigt, dass „leise“ nicht unbedingt „kraftlos“ oder „filigran“ bedeuten muss. Für die Mischung in diesem Gang wurde Garum auf Forellen- und Rinderbasis verwendet. Dagegen stehen die Tomate und leicht gegrilltem unreife Erdbeere und Kalbskopf-Scheiben. Die Sauce ist ebenfalls auf Tomatenbasis. Das Gericht hat eine hohe Geschmackstiefe und Dichte – Umami und Säure kennzeichnet dieses Gericht. Aber die intensiven Aromen überlagern sich nicht gegenseitig, sondern ergeben ein komplettes Puzzle.Ein sensationeller Gang.
Königskrabbe & Spargel, Holzkohle, Eigelb hat eine – wie ich finde – ganz bezaubernde Optik. Unter den dünnen Spargelscheiben befindet sich gezupftes Krabbenfleisch, das ganz kurz scharf gegrillt und durch Nussbutter gezogen wurde. Der Spargel ist confiert und geflämmt. Dadurch kommen die Bitterstoffe recht merklich zur Geltung. Da ja auch Krabbenfleisch eine gewisse süßlich bittere Note hat, verbindet sich dies sehr schön. Die Sauce besteht aus Krustentiersud, Eigelb und einer transparenten Soja-Sauce. Obwohl mit der Krabbe eine intensive Komponente eingebaut ist, bleibt sein Geschmack „leise“, „tonangebend“ ist aus meiner Sicht der Spargel. Die Bitternote ist markant – Bissen für Bissen gewöhnt man sich daran und Kombination wird in der Wahrnehmung immer feiner und präziser und auch frischer.
Salzwiesenlamm & Dashi, Bärlauchstiel – zuerst gibt es ein Tatar vom Lammfilet als Einstimmung auf den Hauptgang, das schon sehr fein ist, aber nicht unbedingt markant nach Lamm schmeckt. Sensationell ist dann die Konsistenz und der feine Geschmack des Rückens vom Salzwiesenlamm. Das Fleisch ist auch eine gewisse Zeit gereift, sagt Marco Müller beim Servieren dieses Gerichts. Begleitet wird das Fleisch von einer Zitrus- und Bärlauchstil-Emulsion und einem feinen Lammdashi, damit es keine schwere Sauce braucht, sagt Marco Müller. Dem ist nichts viel hinzuzufügen, außer dass das Gericht eine unglaubliche Feinheit und hohe Geschmackstiefe bei maximaler Leichtigkeit für einen Hauptgang hat. Gerade jetzt im Sommer begeistert das ungemein.
Das Lamm war aber noch nicht der Hauptgang: es folgt Pilzaromen Weidehuhn & Haut, Seegras. Zurecht werden hier die Pilze in der ersten Position genannt. Denn sie sind das bestimmende Element dieses Gerichts. Auf der Brust ist Pilzcreme, Chinakohl, Seegras und Eiskraut. Die ist Sauce ein Pilztee mit einem Kräuteröl. Das Gericht ist definitiv kräutrig-erdig-fein im Aromenbild.
Rhabarber Ziegenmolke & fassgereifter Mirin ist dann noch ein sehr schönes Dessert, das ebenso fein ist, wie die vorherigen Gänge, wir werden dann aber auch von einem netten Gespräch mit Marco Müller ein wenig abgelenkt abgelenkt, in dem er über die Vorbereitungen seines Menüs im Ikarus im Juli berichtete.
Hannes Buchner bekommt wegen Rhabarber-Aversion ein anders Dessert auf Himbeerbasis
Worin besteht der Fortschritt, der dem Rutz den dritten Stern beschert hat? Marco Müller spricht von den leisen Gerichten, von Konzentration auf das Wesentlich, vom Weglassen. Das ist alles zutreffen, ich persönlich würde im Vergleich zu meinem vorherigen Besuch vor gut zwei Jahren sagen: die Gerichte sind nun so gestaltet, dass die Feinheiten deutlicher zutage treten, die es sicher auch vorher schon gab. Auch damals erschienen mir die Gerichte sehr durchdacht und im Detail sehr eigenständig ausgearbeitet, aber da waren auch noch große Rote Bete-Stücke oder Möhren auf dem Teller, die dann im Mund das Geschmacksbild mehr bestimmt haben, als die kleineren Elemente in den Kompositionen. Dies hat sich durch die kleinteiligere Gestaltung der Hauptkomponenten nun geändert. Kleinteilig bedeutet hier aber nicht verkünstelt, oder aufgerüstet in einer Vielzahl von Komponenten (s. Weglassen), sondern es bekommen die Feinheiten und Details eine hohe Präsenz. Dadurch wirkt alles deutlich komplexer und ausgefeilter.
Dieses Menü war jedenfalls jede Höchstbewertung wert. Alle Gänge waren Highlights. Die Feinheit erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, damit man das volle Spektrum des Geschamcks wahrnimmt. Dennoch kommt das entspannte Genusselment nicht zu kurz. Zur entspannten Atmosphäre trägt auch der angenehme natürlich-freundliche Service von Falco Mühlichen, Sommelière Nancy Großmann und ihren Kolleg*innen bei.
An dem Abend habe ich auf eine Weinbegleitung verzichtet und wir haben eine Flasche 14er Ungeheuer von von Buhl und einen 10er Im Sonnenschein Spätburgunder von Rebholz gewählt. Beide Weine präsentierten sich optimal, gerade der Spätburgunder war sehr fein und nach einer kurzen Anlaufphase dann auch komplex genug und somit sehr passend zu der Küche von Marco Müller.
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