Mit viel Spannung ist in Hamburg die Eröffnung des 100/200 von Thomas Imbusch erwartet worden. Neben dem Lakeside ist es sicher DIE Neueröffnung des Jahres in der Hansestadt. Es zog sich alles etwas hin, bis das Restaurant in Betrieb gehen konnte und noch ist auch nicht alles fertig an dem Gebäude und auch im Restaurant selbst. Aber das sollte in den nächsten Wochen erledigt sein.
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Aber wie sieht es kulinarisch aus? Der offizielle Betrieb läuft seit Anfang der Woche. Für einige Medien gab es vorab Pressetermine, Restaurant-Ranglisten.de war aber an einem der ersten Abende eingeladen, an dem das Restaurant im regulären Betrieb läuft, alle anderen Gäste hatten also ganz normal ihre Karten gekauft – ja, das 100/200 nutzt das Vorverkaufssystem Tock. Die Platzierung an den Tischen erfolgt dann so, dass man mit den zusammen gebuchten Tickets beieinandersitzt, aber es kann sein, dass übrige Plätze am Tisch mit anderen Gästen belegt werden. Dies ist aber kein Problem, da die Tische so lang sind, dass man nicht zwangsläufig mit den Nachbarn am Tisch ins Gespräch kommen muss.
Das Menü kostet dienstags und mittwochs 95 Euro, donnerstags bis samstags 119 Euro – das soll zu einer gleichmäßigeren Auslastung führen. Auch die Weinbegleitung kann vorab erworben werden. Für Kurzentschlossene soll es einen Last-Minute-Verteiler für Restplätze geben.
Am Fenster gibt es eine Theke, die einen wunderbaren Blick auf die Hafenbrücken bietet, so lange hat wie im 100/200 kann man wohl in kaum einem Hamburger Restaurant die Sonne beim Untergehen beobachten - entsprechend warm ist das Licht im ganzen Restaurant. Ich genieße zum Start, bis ein Vertreter der PR-Agentur von Thomas Imbusch und ein weiterer Journalist eintrifft, einen alkoholfreien Aperitif.

Das Restaurant erreicht man gut über den Radweg entlang der Elbe. Die nächste Bushaltestelle ist der Billhorner Röhrendamm, der immerhin von mehreren Linien bedient wird - aber wahrscheinlich wird man dann für die Heimfahrt das Taxi bevorzugen. In einiger Zeit wird auch die neue S-Bahn-Haltestelle Elbbrücken fertig sein und einen attraktiveren Zugang ermöglichen - ansonsten ist die Umgebung, sagen wir es so, entwicklungsfähig.
Als ich im 100/200 ankomme, ist das Restaurant - wie gesagt - in warmes Sonnenlicht getaucht. Der Raum ist komplett schwarz gestrichen. Die Küche dominiert den Raum. Ringsherum stehen die Tische verschiedener Größe (bzw. Länge, denn die Breite der Holzplanken ist immer gleich). Der Küchenbereich ist leicht erhöht, sodass man von den Tischen nicht wirklich in die Küche sehen kann. Und dank einer starken Lüftungsanlage bekommt man auch von Temperaturen und Arbeit dort nicht unbedingt was mit. Dies ist, wie mir erzählt wird, eine Konzession, die behördlichen Auflagen geschuldet ist. Leider kommt das im Marketing betonte Gefühl, der Gast besuche nicht ein Restaurant, sondern eine Küche, bei mir so nicht auf. Thomas Imbusch betont ja, dass er auf seinem riesigen und beeindruckenden Herd-Monster von Molteni wirklich kocht, bei 100 Grad und den Ofen bei 200 Grad nutzt und sich auch sonst der handwerklichen Küchenarbeit verpflichtet fühlt, also keine Sous Vide- und andere modern(istisch)en Techniken verwendet. Das kann man als Gegenentwurf zu Kevin Fehlings The Table verstehen. Auch wenn dort die Sous-Vide-Tüten aufgeschnitten werden und mit Pinzette angerichtet wird, kann man dies als Gast dort besser beobachten. Ich muss sagen, dass ich mir das irgendwie anders vorgestellt habe. Überhaupt ist der Küsten- und Gastraum relativ luftig – ich hätte ihn viel enger vermutet.
Aber mir gefällt der Restaurant-Raum ziemlich gut. Die langen Holztische stehen nebeneinander, in gebührendem Abstand, im Raum. Mit dem Verschwinden der Sonne zeigt sich, wie großartig die Lichtgestaltung gelungen ist. Durch die schwarz gestrichenen Wände und die fernen Lichter von außen wird es ziemlich dunkel im Innenraum. Nur die Küche und die Tische werden direkt beleuchtet. So entsteht bei mir das Gefühl von Privatheit in einem dennoch großen und offenen Raum.


Das Menü beginnt mit fünf Amuses, die an einem Block in der Küche von Thomas Imbusch persönlich präsentiert werden. Hier hat man dann auch einen guten Einblick auf die Küche. Aber Zeit zu gucken, gibt es wenig, denn die Happen werden flott serviert. Sie sollen jeweils die Grundgeschmäcker süß, sauer, salzig, bitter und Umami mit den Einstimmungen zum Ausdruck gebracht werden – als Kalibrierung des Geschmacks.
Süß Kartoffel |Kaffee |Kakao – ist nur dezent süß, eher leicht süßlich und füllt den Mund gut aus.
Sauer Tomate | Essig – in Form einer kleinen Pizza-Adaption. Die Säue der Tomate ist wahrnehmbar, aber nicht unbedingt prägend, der Essig auch nicht. Aber es schmeckt trotzdem gut.
Salzig Auster | Kimchi | Fett gefällt mir ziemlich gut. Die Säure kommt gut zur Geltung. Trotz der Aromen, ist der natürliche Geschmack der Auster gut wahrnehmbar. Kimichi schmecke ich nicht als solches, es fügt sich wohl eher ein, in das säuerlich-salziges Geschmacksbild. Das schmeckt gut.
Bitter Olive | Allbedo – damit ist das Weiße der Zitronenschale gemeint. Dessen Bitterstoffe verbinden sich gut mit denen der grünen Olive und werden dadurch eher milder. Für mich die interessanteste der Kleinigkeiten.
Umami Hühnerfussbrühe – die Brühe ist relativ leicht und nicht zu konzentriert und schmeckt schön natürlich nach Huhn.
Die Happen sind gut gelungen. Aber wenn sie die geschmacklichen Dimensionen ausreizen sollen, eher brav in der Intensität. Wenn Thomas Imbusch doch die Geschmacksdimensionen aufzeigen will, warum dann so behutsam? Aber wesentlich mehr Wumms würde gar nicht zum übrigen Menü passen… Egal, das ist alles gedanklicher Überbau, wenn es so gut schmeckt, wie hier, geht das für mich in Ordnung.





Am Tisch gibt es dann Brot und aufgeschlagene Butter, bei dem man sich - jedenfalls wenn man wie ich, zum Mittagessen nur einen Salat hatte – gut bedienen kann, Gefahr zu laufen, das Menü nicht zu schaffen. Das Brot selbst ist gut ausgewogen, der Eigengeschmack von Krume und Kruste ist wahrnehmbar, aber nicht so intensiv, dass das Essen, das man vielleicht kurz danach zu sich nimmt, überlagert wird.

Was nun folgt, erschließt sich mir in der Konsequenz erst, nachdem ich die gedruckte mit Wachs versiegelte Karte am Ende des Menüs erhalte und das Siegel breche. Ich hatte zwar gelesen, dass Thomas Imbusch ganze Tiere verarbeitet und diese in verschiedenen Facetten zeigen möchte. Das dies jedoch in einem Menü geschieht, war mir in der Konsequenz nicht klar. Aber es ist so: unser Menü besteht etwa aus Gängen rund um die Bachforelle und rund um das Huhn. Diese Säulen werden je nach Verfügbarkeit ausgetauscht. Für die folgenden Tage, so höre ich, sind Teile vom Schwein geplant, weil die Hühner erstmal aufgebraucht sind.
Diese Art das Menü zusammenzustellen ist jedoch für mich der interessanteste Punkt am Konzept des 100/200, nachdem der Einblick in die Küche nicht so zum Tragen kommt. Das könnte man ruhig noch stärker herausstellen, zumal ich so ein Menükonzept noch nirgendwo anders gesehen habe.
Jetzt geht es in die Details:
Alle folgenden Gänge drehen sich um Reeses Backforelle
Grapefruit | Haselnuss. Außerdem ist japanischer Eierstich im Teller. Die Grapefruit ist ziemlich bitter, was sich mit der Nuss gut verbindet, zu einer prägnanten Bitternote, die aber gleichzeitig gut abgerundet wird. Das finde ich sehr gelungen. Der Kaviar ist nur dezent präsent. Dadurch wird mir das erwähnte Menükonzept nicht so klar, weil die Bachforellen-Komponente nur ein Nebendarsteller ist – für das Gericht kein Problem, denn es ist gut, rund und aufgrund des Spiels mit der Bitternote auf interessant und nicht mainstream.

Gleiches gilt für den folgenden Gang: Schnecke | Erbse | Pfeffer. Der Sud zu diesem Gericht ist aus den Gräten der Forelle schön gekocht, samtig und rund. Er ist ziemlich prononciert mit Pfeffer abgeschmeckt. Dazu kommt ein Raviolo mit Erbsencreme, die den Geschmack von etwas reiferen Erbsen hat. Dazu sind die kleinen grünen, frischen Erben auf dem Teller eine schöne Ergänzung. Die Schnecken geben etwas mehr Biss in die Komposition, haben aber keinen allzu großen Eigengeschmack, sondern runden zudem das Gericht gut ab. Also auch hier kommt die Forelle geschmacklich nur am Rande vor – zugunsten einer gelungenen Gesamtkomposition.

Erst im dritten Gang zur Bachforelle wird diese unmissverständlich in den Mittelpunkt gestellt: Rettich | Dill | Kefir. Auf dem Tisch wird eine Pfanne mit einem Forellenfilet pro Person platziert. Dieses ist wunderschön gebraten. Man kann es aus der Pfanne essen oder auf den Teller transferieren. Dort sind salatartig der Rettich mit dem Dill und Fliederbeeren leicht säuerlich angemacht. Dazu kann man noch gefrorenen Kefirschnee löffeln, der dem gesamten Ensemble eine harmonisierende und frischere Anmutung gibt. Gerade die krosse und klar schmeckbar gebratene und nicht nur leicht gegarte Forelle ist ein schöner Kontrast.

Für uns, d.h. unseren Dreier-Tisch - wird ein ganzes Huhn gereicht für Brust oder Keule | sauce rouennaise. Tranchieren dürfen/müssen wir selber. Die Haut ist wunderbar kross und mit Zitrusfrucht aromatisiert. Das gefällt mir außerordentlich gut. Auch die Fleischqualität ist ausgezeichnet. Wunderbar schmeckt darüber hinaus die Sauce, die verarbeiteten Innereien sind gut wahrnehmbar. Sie ist so üppig, dass der naturgegebene, etwas eindimensionale Geschmack des Hühnchenfleischs sehr aufgewertet wird. Die Sauce wird in einem Töpfchen serviert und kann nach Herzenslust zum Fleisch angegossen werden. Das ist nach den Regeln der Kunst zubereitet, aber einfach präsentiert – und stellt so die Qualität des Handwerks und der Produkte in den Blickpunkt.


Der Rest | Brot ist dann mit kleineren Teilen und Innereien des Huhns gearbeitet und erinnert mich mit einer markanten Säure an ein wunderbares Hühnerfrikassee. Es ist cremig und schmeckt sehr intensiv nach Huhn, mit einer leichten Säurenote von der Sauce – leider ist die Portion, die in einem kleinen Topf an den Tisch gebracht und auf die Teller verteilt wird, nicht soo groß… Ich hätte gut noch einen Nachschlag vertragen können, so lecker war das.

Das Konzept, ein Produkt in den Mittelpunkt zu stellen und zu deklinieren, wird im Dessertbereich nicht beibehalten. Zudem gibt es kein richtiges, großes Dessert, sondern eher eine Petit Fours-Abfolge.
Himbeer |Litchi | Rose schmeckt fein und gut.

Brioche | Renneklode gefällt mir sehr gut. Auf das Brioche kann man eine leicht fluffige Sahne mit angemachten Renekloden löffeln. Das ist einfach und lecker.

Ganache | Financier ist dann ein netter Abschluss. Die Creme hat eine gute Geschmackstiefe und wird auf einem Löffel zum Abschlecken gereicht.

Gut gelungen ist übrigens die Weinbegleitung. Zu Beginn gibt es einen Schaumwein aus dem Jura, zur Schnecke ein leicht gereiftes GG von Clemens Busch, gefolgt von zwei weiteren Weinen aus dem Jura serviert. Vor allem zum Huhn passt der süßliche, an Sherry erinnernde Wein gut. Der Syrah von Ziereisen ist begleitet den zweiten Hühnergang sehr gut. Und zu den nicht allzu süßen Desserts harmoniert ein leichter Gewürztraminer vom Weingut Pfeffingen aus der Pfalz.
Tja, wie fällt das Fazit aus, dritten Öffnungstag ist erkennbar noch nicht alles fertig im 100/200 (wie könnte es auch anders sein) – und das gilt nicht nur für die Inneneinrichtung. Vieles funktioniert für mich aber schon recht gut. Die Art, das Menü zu gestalten, es in vier Sektionen – Amuses zu Grundgeschmäckern – ein Fisch in mehreren Gängen präsentiert – eine Fleischsorte in mehreren Gängen präsentiert – finde ich großartig. Ich würde es begrüßen, wenn dies in der Außendarstellung noch klarer benannt würde. So wird noch klarer, dass Thomas Imbusch mit ganzen Tieren arbeitet. Auch die Präsentation des ganzen Huhns und der Forelle aus der Pfanne, sowie das zweite Hühnchengericht bringen die Konzentration auf klassisches Handwerk gut zur Geltung. Andere Gänge manifestieren die kompositorischen Fähigkeiten von Thomas Imbusch. Warum dieses Konzept, sich mit einem Produkt in verschiedenen Weisen zu beschäftigen, nicht im Dessert fortgesetzt wird, frage ich mich allerdings schon. Zudem würde ich mich freuen, wenn es ein „richtiges“, vollwertiges Dessert gäbe und nicht nur drei Petit Fours.
Alle Gerichte haben Hand und Fuß. Sie schmecken gut, sind stimmig für foodaffine Menschen, aber nicht überfordernd für Gäste, die in der Fine -Dining-Welt nicht so zu Hause sind. Das ist ein guter Kompromiss. Das Menü spielt zudem gekonnt die Themen Regionalität und Shareing, die im Trend liegen, ohne dies übermäßig zu betonen. Das finde ich gut.
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Ein echtes Plus war die Weinbegleitung, die wirklich stimmig zur Küche war. Für 69 Euro extra finde ich sie zudem fair bepreist. Aber auch die reguläre Weinkarte ist deutlich interessanter als in vielen anderen Restaurants der Preisklasse. Sie enthält eine Reihe von Winzern, die nicht allzu häufig auf Weinkarten zu finden sind, aber durchaus einen Namen haben, Mosbacher und Münzberg aus der Pfalz nur als Beispiele aus meinem Weinhorizont.
Ich hoffe, dass der Gästezuspruch auch an dieser unwirtlichen Stelle in Hamburg so ausfällt, dass Thomas Imbusch sein Konzept weiter verfeinern und vielleicht noch schärfen kann und nicht verwässern muss. Betrachtet man das preisliche Niveau, sind die Konkurrenten Restaurants wie Heldenplatz oder Haco. Mit diesen kann das 100/200 zum Start auf jeden Fall gut mithalten.
Hinweis: wie schon oben erwähnt, war ich seitens des 100/200 zu diesem Restaurantbesuch eingeladen.
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Aber wie sieht es kulinarisch aus? Der offizielle Betrieb läuft seit Anfang der Woche. Für einige Medien gab es vorab Pressetermine, Restaurant-Ranglisten.de war aber an einem der ersten Abende eingeladen, an dem das Restaurant im regulären Betrieb läuft, alle anderen Gäste hatten also ganz normal ihre Karten gekauft – ja, das 100/200 nutzt das Vorverkaufssystem Tock. Die Platzierung an den Tischen erfolgt dann so, dass man mit den zusammen gebuchten Tickets beieinandersitzt, aber es kann sein, dass übrige Plätze am Tisch mit anderen Gästen belegt werden. Dies ist aber kein Problem, da die Tische so lang sind, dass man nicht zwangsläufig mit den Nachbarn am Tisch ins Gespräch kommen muss.
Das Menü kostet dienstags und mittwochs 95 Euro, donnerstags bis samstags 119 Euro – das soll zu einer gleichmäßigeren Auslastung führen. Auch die Weinbegleitung kann vorab erworben werden. Für Kurzentschlossene soll es einen Last-Minute-Verteiler für Restplätze geben.
Am Fenster gibt es eine Theke, die einen wunderbaren Blick auf die Hafenbrücken bietet, so lange hat wie im 100/200 kann man wohl in kaum einem Hamburger Restaurant die Sonne beim Untergehen beobachten - entsprechend warm ist das Licht im ganzen Restaurant. Ich genieße zum Start, bis ein Vertreter der PR-Agentur von Thomas Imbusch und ein weiterer Journalist eintrifft, einen alkoholfreien Aperitif.
Das Restaurant erreicht man gut über den Radweg entlang der Elbe. Die nächste Bushaltestelle ist der Billhorner Röhrendamm, der immerhin von mehreren Linien bedient wird - aber wahrscheinlich wird man dann für die Heimfahrt das Taxi bevorzugen. In einiger Zeit wird auch die neue S-Bahn-Haltestelle Elbbrücken fertig sein und einen attraktiveren Zugang ermöglichen - ansonsten ist die Umgebung, sagen wir es so, entwicklungsfähig.
Als ich im 100/200 ankomme, ist das Restaurant - wie gesagt - in warmes Sonnenlicht getaucht. Der Raum ist komplett schwarz gestrichen. Die Küche dominiert den Raum. Ringsherum stehen die Tische verschiedener Größe (bzw. Länge, denn die Breite der Holzplanken ist immer gleich). Der Küchenbereich ist leicht erhöht, sodass man von den Tischen nicht wirklich in die Küche sehen kann. Und dank einer starken Lüftungsanlage bekommt man auch von Temperaturen und Arbeit dort nicht unbedingt was mit. Dies ist, wie mir erzählt wird, eine Konzession, die behördlichen Auflagen geschuldet ist. Leider kommt das im Marketing betonte Gefühl, der Gast besuche nicht ein Restaurant, sondern eine Küche, bei mir so nicht auf. Thomas Imbusch betont ja, dass er auf seinem riesigen und beeindruckenden Herd-Monster von Molteni wirklich kocht, bei 100 Grad und den Ofen bei 200 Grad nutzt und sich auch sonst der handwerklichen Küchenarbeit verpflichtet fühlt, also keine Sous Vide- und andere modern(istisch)en Techniken verwendet. Das kann man als Gegenentwurf zu Kevin Fehlings The Table verstehen. Auch wenn dort die Sous-Vide-Tüten aufgeschnitten werden und mit Pinzette angerichtet wird, kann man dies als Gast dort besser beobachten. Ich muss sagen, dass ich mir das irgendwie anders vorgestellt habe. Überhaupt ist der Küsten- und Gastraum relativ luftig – ich hätte ihn viel enger vermutet.
Aber mir gefällt der Restaurant-Raum ziemlich gut. Die langen Holztische stehen nebeneinander, in gebührendem Abstand, im Raum. Mit dem Verschwinden der Sonne zeigt sich, wie großartig die Lichtgestaltung gelungen ist. Durch die schwarz gestrichenen Wände und die fernen Lichter von außen wird es ziemlich dunkel im Innenraum. Nur die Küche und die Tische werden direkt beleuchtet. So entsteht bei mir das Gefühl von Privatheit in einem dennoch großen und offenen Raum.
Das Menü beginnt mit fünf Amuses, die an einem Block in der Küche von Thomas Imbusch persönlich präsentiert werden. Hier hat man dann auch einen guten Einblick auf die Küche. Aber Zeit zu gucken, gibt es wenig, denn die Happen werden flott serviert. Sie sollen jeweils die Grundgeschmäcker süß, sauer, salzig, bitter und Umami mit den Einstimmungen zum Ausdruck gebracht werden – als Kalibrierung des Geschmacks.
Süß Kartoffel |Kaffee |Kakao – ist nur dezent süß, eher leicht süßlich und füllt den Mund gut aus.
Sauer Tomate | Essig – in Form einer kleinen Pizza-Adaption. Die Säue der Tomate ist wahrnehmbar, aber nicht unbedingt prägend, der Essig auch nicht. Aber es schmeckt trotzdem gut.
Salzig Auster | Kimchi | Fett gefällt mir ziemlich gut. Die Säure kommt gut zur Geltung. Trotz der Aromen, ist der natürliche Geschmack der Auster gut wahrnehmbar. Kimichi schmecke ich nicht als solches, es fügt sich wohl eher ein, in das säuerlich-salziges Geschmacksbild. Das schmeckt gut.
Bitter Olive | Allbedo – damit ist das Weiße der Zitronenschale gemeint. Dessen Bitterstoffe verbinden sich gut mit denen der grünen Olive und werden dadurch eher milder. Für mich die interessanteste der Kleinigkeiten.
Umami Hühnerfussbrühe – die Brühe ist relativ leicht und nicht zu konzentriert und schmeckt schön natürlich nach Huhn.
Die Happen sind gut gelungen. Aber wenn sie die geschmacklichen Dimensionen ausreizen sollen, eher brav in der Intensität. Wenn Thomas Imbusch doch die Geschmacksdimensionen aufzeigen will, warum dann so behutsam? Aber wesentlich mehr Wumms würde gar nicht zum übrigen Menü passen… Egal, das ist alles gedanklicher Überbau, wenn es so gut schmeckt, wie hier, geht das für mich in Ordnung.
Am Tisch gibt es dann Brot und aufgeschlagene Butter, bei dem man sich - jedenfalls wenn man wie ich, zum Mittagessen nur einen Salat hatte – gut bedienen kann, Gefahr zu laufen, das Menü nicht zu schaffen. Das Brot selbst ist gut ausgewogen, der Eigengeschmack von Krume und Kruste ist wahrnehmbar, aber nicht so intensiv, dass das Essen, das man vielleicht kurz danach zu sich nimmt, überlagert wird.
Was nun folgt, erschließt sich mir in der Konsequenz erst, nachdem ich die gedruckte mit Wachs versiegelte Karte am Ende des Menüs erhalte und das Siegel breche. Ich hatte zwar gelesen, dass Thomas Imbusch ganze Tiere verarbeitet und diese in verschiedenen Facetten zeigen möchte. Das dies jedoch in einem Menü geschieht, war mir in der Konsequenz nicht klar. Aber es ist so: unser Menü besteht etwa aus Gängen rund um die Bachforelle und rund um das Huhn. Diese Säulen werden je nach Verfügbarkeit ausgetauscht. Für die folgenden Tage, so höre ich, sind Teile vom Schwein geplant, weil die Hühner erstmal aufgebraucht sind.
Diese Art das Menü zusammenzustellen ist jedoch für mich der interessanteste Punkt am Konzept des 100/200, nachdem der Einblick in die Küche nicht so zum Tragen kommt. Das könnte man ruhig noch stärker herausstellen, zumal ich so ein Menükonzept noch nirgendwo anders gesehen habe.
Jetzt geht es in die Details:
Alle folgenden Gänge drehen sich um Reeses Backforelle
Grapefruit | Haselnuss. Außerdem ist japanischer Eierstich im Teller. Die Grapefruit ist ziemlich bitter, was sich mit der Nuss gut verbindet, zu einer prägnanten Bitternote, die aber gleichzeitig gut abgerundet wird. Das finde ich sehr gelungen. Der Kaviar ist nur dezent präsent. Dadurch wird mir das erwähnte Menükonzept nicht so klar, weil die Bachforellen-Komponente nur ein Nebendarsteller ist – für das Gericht kein Problem, denn es ist gut, rund und aufgrund des Spiels mit der Bitternote auf interessant und nicht mainstream.
Gleiches gilt für den folgenden Gang: Schnecke | Erbse | Pfeffer. Der Sud zu diesem Gericht ist aus den Gräten der Forelle schön gekocht, samtig und rund. Er ist ziemlich prononciert mit Pfeffer abgeschmeckt. Dazu kommt ein Raviolo mit Erbsencreme, die den Geschmack von etwas reiferen Erbsen hat. Dazu sind die kleinen grünen, frischen Erben auf dem Teller eine schöne Ergänzung. Die Schnecken geben etwas mehr Biss in die Komposition, haben aber keinen allzu großen Eigengeschmack, sondern runden zudem das Gericht gut ab. Also auch hier kommt die Forelle geschmacklich nur am Rande vor – zugunsten einer gelungenen Gesamtkomposition.
Erst im dritten Gang zur Bachforelle wird diese unmissverständlich in den Mittelpunkt gestellt: Rettich | Dill | Kefir. Auf dem Tisch wird eine Pfanne mit einem Forellenfilet pro Person platziert. Dieses ist wunderschön gebraten. Man kann es aus der Pfanne essen oder auf den Teller transferieren. Dort sind salatartig der Rettich mit dem Dill und Fliederbeeren leicht säuerlich angemacht. Dazu kann man noch gefrorenen Kefirschnee löffeln, der dem gesamten Ensemble eine harmonisierende und frischere Anmutung gibt. Gerade die krosse und klar schmeckbar gebratene und nicht nur leicht gegarte Forelle ist ein schöner Kontrast.
Für uns, d.h. unseren Dreier-Tisch - wird ein ganzes Huhn gereicht für Brust oder Keule | sauce rouennaise. Tranchieren dürfen/müssen wir selber. Die Haut ist wunderbar kross und mit Zitrusfrucht aromatisiert. Das gefällt mir außerordentlich gut. Auch die Fleischqualität ist ausgezeichnet. Wunderbar schmeckt darüber hinaus die Sauce, die verarbeiteten Innereien sind gut wahrnehmbar. Sie ist so üppig, dass der naturgegebene, etwas eindimensionale Geschmack des Hühnchenfleischs sehr aufgewertet wird. Die Sauce wird in einem Töpfchen serviert und kann nach Herzenslust zum Fleisch angegossen werden. Das ist nach den Regeln der Kunst zubereitet, aber einfach präsentiert – und stellt so die Qualität des Handwerks und der Produkte in den Blickpunkt.
Der Rest | Brot ist dann mit kleineren Teilen und Innereien des Huhns gearbeitet und erinnert mich mit einer markanten Säure an ein wunderbares Hühnerfrikassee. Es ist cremig und schmeckt sehr intensiv nach Huhn, mit einer leichten Säurenote von der Sauce – leider ist die Portion, die in einem kleinen Topf an den Tisch gebracht und auf die Teller verteilt wird, nicht soo groß… Ich hätte gut noch einen Nachschlag vertragen können, so lecker war das.
Das Konzept, ein Produkt in den Mittelpunkt zu stellen und zu deklinieren, wird im Dessertbereich nicht beibehalten. Zudem gibt es kein richtiges, großes Dessert, sondern eher eine Petit Fours-Abfolge.
Himbeer |Litchi | Rose schmeckt fein und gut.
Brioche | Renneklode gefällt mir sehr gut. Auf das Brioche kann man eine leicht fluffige Sahne mit angemachten Renekloden löffeln. Das ist einfach und lecker.
Ganache | Financier ist dann ein netter Abschluss. Die Creme hat eine gute Geschmackstiefe und wird auf einem Löffel zum Abschlecken gereicht.
Gut gelungen ist übrigens die Weinbegleitung. Zu Beginn gibt es einen Schaumwein aus dem Jura, zur Schnecke ein leicht gereiftes GG von Clemens Busch, gefolgt von zwei weiteren Weinen aus dem Jura serviert. Vor allem zum Huhn passt der süßliche, an Sherry erinnernde Wein gut. Der Syrah von Ziereisen ist begleitet den zweiten Hühnergang sehr gut. Und zu den nicht allzu süßen Desserts harmoniert ein leichter Gewürztraminer vom Weingut Pfeffingen aus der Pfalz.
Tja, wie fällt das Fazit aus, dritten Öffnungstag ist erkennbar noch nicht alles fertig im 100/200 (wie könnte es auch anders sein) – und das gilt nicht nur für die Inneneinrichtung. Vieles funktioniert für mich aber schon recht gut. Die Art, das Menü zu gestalten, es in vier Sektionen – Amuses zu Grundgeschmäckern – ein Fisch in mehreren Gängen präsentiert – eine Fleischsorte in mehreren Gängen präsentiert – finde ich großartig. Ich würde es begrüßen, wenn dies in der Außendarstellung noch klarer benannt würde. So wird noch klarer, dass Thomas Imbusch mit ganzen Tieren arbeitet. Auch die Präsentation des ganzen Huhns und der Forelle aus der Pfanne, sowie das zweite Hühnchengericht bringen die Konzentration auf klassisches Handwerk gut zur Geltung. Andere Gänge manifestieren die kompositorischen Fähigkeiten von Thomas Imbusch. Warum dieses Konzept, sich mit einem Produkt in verschiedenen Weisen zu beschäftigen, nicht im Dessert fortgesetzt wird, frage ich mich allerdings schon. Zudem würde ich mich freuen, wenn es ein „richtiges“, vollwertiges Dessert gäbe und nicht nur drei Petit Fours.
Alle Gerichte haben Hand und Fuß. Sie schmecken gut, sind stimmig für foodaffine Menschen, aber nicht überfordernd für Gäste, die in der Fine -Dining-Welt nicht so zu Hause sind. Das ist ein guter Kompromiss. Das Menü spielt zudem gekonnt die Themen Regionalität und Shareing, die im Trend liegen, ohne dies übermäßig zu betonen. Das finde ich gut.
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Ein echtes Plus war die Weinbegleitung, die wirklich stimmig zur Küche war. Für 69 Euro extra finde ich sie zudem fair bepreist. Aber auch die reguläre Weinkarte ist deutlich interessanter als in vielen anderen Restaurants der Preisklasse. Sie enthält eine Reihe von Winzern, die nicht allzu häufig auf Weinkarten zu finden sind, aber durchaus einen Namen haben, Mosbacher und Münzberg aus der Pfalz nur als Beispiele aus meinem Weinhorizont.
Ich hoffe, dass der Gästezuspruch auch an dieser unwirtlichen Stelle in Hamburg so ausfällt, dass Thomas Imbusch sein Konzept weiter verfeinern und vielleicht noch schärfen kann und nicht verwässern muss. Betrachtet man das preisliche Niveau, sind die Konkurrenten Restaurants wie Heldenplatz oder Haco. Mit diesen kann das 100/200 zum Start auf jeden Fall gut mithalten.
Hinweis: wie schon oben erwähnt, war ich seitens des 100/200 zu diesem Restaurantbesuch eingeladen.
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