Wir waren kurz nach der Sternvergabe im Navette essen.
Hier der etwas gekürzte Bericht. Bilder wie immer unter sternefresser.de
Viel Spaß!
b.
Thomas Macyszyn fand erst nach vier Semestern Medizin und bestandenem Physikum zu seiner wahren Leidenschaft: Kochen. Auf höchstem Niveau. Das für diese Berufswahl nicht unvorteilhafte Talent kombinierte der gebürtige Hindenburger mit Zielstrebigkeit und reichlich Tempo – vielleicht, um die zwei "verlorenen" Jahre als Mediziner einzuholen. Nach der Ausbildung im "Le Jardin" in Baden-Baden ging er 2007 als Küchenchef ins "La Provence" im gleichen Ort – da lag die bestandene Prüfung zum Commis de Cuisine gerade fünf Monate zurück. Und schon im Juni 2008 ergriff er die nächste Chance: als Souschef von Volker Drkosch im Columbia-Hotel in Rüsselsheim. Noch gleichen Sommer übernahm er die Küche des hoteleigenen Gourmetrestaurants "Navette", denn Drkosch zog weiter nach Düsseldorf in Victorian. Und seine Kochkunst kommt an: Der Michelin verlieh ihm im November 2011 einen Stern, womit er auf der gleichen Stufe wie sein Kurzzeitchef Drkosch steht.
Das Columbia-Hotel in Rüsselsheim an sich ist ein klassisches Tagungshotel in einer nicht sonderlich attraktiven Stadt und somit eher für den abendlichen Besuch geeignet. Doch nun zu den Protagonisten unseres Besuches, den Gerichten:
Der Einstieg in den Abend gelingt: Die Sauce Rouille als klassische Begleiterin einer Bouillabaisse mündet mit den zart-milden Crevetten in eine Harmonie, welche durch Lardo sowie knusprigen Flammkuchen um rustikale Akzente bereichert wird.
Von ähnlicher Natur ist auch das zweite Amuse: Mit Beeftartar, Kartoffel und Aalcreme haben wir einen grundlegend deftigen Dreiklang, der filigran und ausgewogen präsentiert ist, kein bisschen fettig wirkt und die jodige Frische des Ossietra-Kaviars pointiert.
Der Abschluss der einstimmenden Trilogie ist ein Füllhorn: Paella mit Sot-l’y-laisse, Safranreis, Muschelcreme, Krustentiersüppchen, Gillardeau-Auster und Tomaten-Gin-Schaum. Dies wirkt zunächst überladen, ergibt aber dank der Zweiteilung durchaus Sinn, da sich zwischen beiden Elementen ein schönes Pendeln zwischen frischer Leichtigkeit und erfüllender Vollmundigkeit einstellt.
Die Sardine mit Tomate, Artischocke und Sorbet von grünen Tomaten ist eines der vielen gelungenen Sardinen-Erlebnisse der letzten Monate und baut die angedeutete Stilistik des Arbeitens mit Gegensätzen zu einem wahren Highlight aus. Die markante Aromatik des kleinen Fettfischs wird von der Säure der Tomate gut ausbalanciert. Die angenehme Leichtigkeit dieses Gerichts am Gaumen aber entsteht durch die Artischocke und den gesondert servierten Chévre (Ziegenkäse), die den Protagonisten ihre Wucht nehmen und so erst zu diesem Gleichklang führen
Mit Foie Gras, Quitte, Guanaja und Haselnuss folgt eine abwechslungsreich gearbeitete Zusammenstellung, die alle Gelüste auf ein Lebergericht befriedigt: Das Kernobst liefert Frucht, Säure und somit Leichtigkeit, Guanaja die schokoladige Reichhaltigkeit und die „Gemeine Hasel“ eine nussig-edle Differenzierung. Das Spiel mit Temperaturen und Texturen funktioniert zudem gut. Lediglich die Foie-Gras-Creme gerät für unseren Geschmack etwas überdimensional und dominiert quantitativ das Gericht. Dennoch gelungen.
Bei Carabinero, Kürbis, Bries, Miso fühlen wir uns stilistisch an Hans Horberth erinnert, was hier sehr positiv gemeint ist: Hauptprodukt trifft auf „Schäume“ trifft auf Nebenprodukt. Ersteres ist hier die Garnele (in Küchen oftmals „Karabiner“ genannt), der mit perfekter Garung glänzt und im butterzarten Bries einen kongenialen Begleiter findet. Zusammen sind sie in ein sehr spannendes Terrain voller Süße, Schärfe und Umami gesetzt, das aber so unaufdringlich im Hintergrund wirkt, dass zu keiner Zeit eine Überlagerung der „Surf-and-Turf“-Allianz droht.
Rinderschulter, Gulasch, Boudin Noir, Perlzwiebel ist der erste Fleischgang und macht dieser Bezeichnung alle Ehre. Herzhaft, vollmundig, dennoch mit Raffinesse gekocht und von einer herrlichen Sauce begleitet – so wünschen wir uns ein Schmorgericht. Insbesondere sind es die süß-säuerlichen Anklänge der Perlzwiebeln und die deftige Note der französischen Blutwurst Boudin Noir, die einen richtigen Kick in dieses Gericht bringen. Mehr davon!
Nantaiser Ente, Spitzkohl, Dörrpflaume, Rouennaiser Biskuit ist der finale Hauptgang und kann trotz des kraftvollen Vorgängers reüssieren – ohne diesen aber zu überflügeln. Die Begleiter der zarten Ente sind überaus schlüssig und rund kombiniert, hinterlassen aber gerade deshalb einen eher dumpfen Eindruck, bei dem wir uns ein paar Ecken und Kanten wünschen. Hier dürfte es etwas mehr Säure sein, welche diesem guten Gericht noch mehr Finesse verleihen und damit eben auch zu höheren Weihen verhelfen könnte.
Zwetschge, Hefe, Vanille weckt Erinnerungen an Omas Hefekuchen und hinterlässt ein Lächeln in unseren Gesichtern. Einfach eine schöne Reminiszenz und Überleitung von den Hauptgerichten zum Dessert.
Schlicht mit Orange, Fenchel, Honig annonciert, präsentiert sich uns ein durch und durch ungewöhnliches Dessert. Fenchel und Orange verhelfen meist marinen Produkten zu einer facettenreichen Grundierung, können aber auch als Dessert mehr als nur überzeugen. Dabei haben wir es mit unterschiedlichsten Temperaturen und Texturen auf dem Hauptteller zu tun, ein Orangensüppchen mit Honig-Joghurtschaum und einem Fenchel-Lolli in weißer Schokolade mit Fenchelsamenkrokant zur Seite gestellt wurde. Wir erfreuen uns Löffel für Löffel an der Vielfalt der uns gebotenen Kombinationen, die fast alle funktionieren, zum Teil komplex und gewagt sind – und gerade dadurch begeistern.
Fazit: Nicht nur, dass Thomas Macyszyn gerade seinen ersten Stern im Michelin erkochte, wir erlebten auch eine überzeugende und zeitgemäße Küche, die weiteres Potenzial aufzeigt.
Hier der etwas gekürzte Bericht. Bilder wie immer unter sternefresser.de
Viel Spaß!
b.
Thomas Macyszyn fand erst nach vier Semestern Medizin und bestandenem Physikum zu seiner wahren Leidenschaft: Kochen. Auf höchstem Niveau. Das für diese Berufswahl nicht unvorteilhafte Talent kombinierte der gebürtige Hindenburger mit Zielstrebigkeit und reichlich Tempo – vielleicht, um die zwei "verlorenen" Jahre als Mediziner einzuholen. Nach der Ausbildung im "Le Jardin" in Baden-Baden ging er 2007 als Küchenchef ins "La Provence" im gleichen Ort – da lag die bestandene Prüfung zum Commis de Cuisine gerade fünf Monate zurück. Und schon im Juni 2008 ergriff er die nächste Chance: als Souschef von Volker Drkosch im Columbia-Hotel in Rüsselsheim. Noch gleichen Sommer übernahm er die Küche des hoteleigenen Gourmetrestaurants "Navette", denn Drkosch zog weiter nach Düsseldorf in Victorian. Und seine Kochkunst kommt an: Der Michelin verlieh ihm im November 2011 einen Stern, womit er auf der gleichen Stufe wie sein Kurzzeitchef Drkosch steht.
Das Columbia-Hotel in Rüsselsheim an sich ist ein klassisches Tagungshotel in einer nicht sonderlich attraktiven Stadt und somit eher für den abendlichen Besuch geeignet. Doch nun zu den Protagonisten unseres Besuches, den Gerichten:
Der Einstieg in den Abend gelingt: Die Sauce Rouille als klassische Begleiterin einer Bouillabaisse mündet mit den zart-milden Crevetten in eine Harmonie, welche durch Lardo sowie knusprigen Flammkuchen um rustikale Akzente bereichert wird.
Von ähnlicher Natur ist auch das zweite Amuse: Mit Beeftartar, Kartoffel und Aalcreme haben wir einen grundlegend deftigen Dreiklang, der filigran und ausgewogen präsentiert ist, kein bisschen fettig wirkt und die jodige Frische des Ossietra-Kaviars pointiert.
Der Abschluss der einstimmenden Trilogie ist ein Füllhorn: Paella mit Sot-l’y-laisse, Safranreis, Muschelcreme, Krustentiersüppchen, Gillardeau-Auster und Tomaten-Gin-Schaum. Dies wirkt zunächst überladen, ergibt aber dank der Zweiteilung durchaus Sinn, da sich zwischen beiden Elementen ein schönes Pendeln zwischen frischer Leichtigkeit und erfüllender Vollmundigkeit einstellt.
Die Sardine mit Tomate, Artischocke und Sorbet von grünen Tomaten ist eines der vielen gelungenen Sardinen-Erlebnisse der letzten Monate und baut die angedeutete Stilistik des Arbeitens mit Gegensätzen zu einem wahren Highlight aus. Die markante Aromatik des kleinen Fettfischs wird von der Säure der Tomate gut ausbalanciert. Die angenehme Leichtigkeit dieses Gerichts am Gaumen aber entsteht durch die Artischocke und den gesondert servierten Chévre (Ziegenkäse), die den Protagonisten ihre Wucht nehmen und so erst zu diesem Gleichklang führen
Mit Foie Gras, Quitte, Guanaja und Haselnuss folgt eine abwechslungsreich gearbeitete Zusammenstellung, die alle Gelüste auf ein Lebergericht befriedigt: Das Kernobst liefert Frucht, Säure und somit Leichtigkeit, Guanaja die schokoladige Reichhaltigkeit und die „Gemeine Hasel“ eine nussig-edle Differenzierung. Das Spiel mit Temperaturen und Texturen funktioniert zudem gut. Lediglich die Foie-Gras-Creme gerät für unseren Geschmack etwas überdimensional und dominiert quantitativ das Gericht. Dennoch gelungen.
Bei Carabinero, Kürbis, Bries, Miso fühlen wir uns stilistisch an Hans Horberth erinnert, was hier sehr positiv gemeint ist: Hauptprodukt trifft auf „Schäume“ trifft auf Nebenprodukt. Ersteres ist hier die Garnele (in Küchen oftmals „Karabiner“ genannt), der mit perfekter Garung glänzt und im butterzarten Bries einen kongenialen Begleiter findet. Zusammen sind sie in ein sehr spannendes Terrain voller Süße, Schärfe und Umami gesetzt, das aber so unaufdringlich im Hintergrund wirkt, dass zu keiner Zeit eine Überlagerung der „Surf-and-Turf“-Allianz droht.
Rinderschulter, Gulasch, Boudin Noir, Perlzwiebel ist der erste Fleischgang und macht dieser Bezeichnung alle Ehre. Herzhaft, vollmundig, dennoch mit Raffinesse gekocht und von einer herrlichen Sauce begleitet – so wünschen wir uns ein Schmorgericht. Insbesondere sind es die süß-säuerlichen Anklänge der Perlzwiebeln und die deftige Note der französischen Blutwurst Boudin Noir, die einen richtigen Kick in dieses Gericht bringen. Mehr davon!
Nantaiser Ente, Spitzkohl, Dörrpflaume, Rouennaiser Biskuit ist der finale Hauptgang und kann trotz des kraftvollen Vorgängers reüssieren – ohne diesen aber zu überflügeln. Die Begleiter der zarten Ente sind überaus schlüssig und rund kombiniert, hinterlassen aber gerade deshalb einen eher dumpfen Eindruck, bei dem wir uns ein paar Ecken und Kanten wünschen. Hier dürfte es etwas mehr Säure sein, welche diesem guten Gericht noch mehr Finesse verleihen und damit eben auch zu höheren Weihen verhelfen könnte.
Zwetschge, Hefe, Vanille weckt Erinnerungen an Omas Hefekuchen und hinterlässt ein Lächeln in unseren Gesichtern. Einfach eine schöne Reminiszenz und Überleitung von den Hauptgerichten zum Dessert.
Schlicht mit Orange, Fenchel, Honig annonciert, präsentiert sich uns ein durch und durch ungewöhnliches Dessert. Fenchel und Orange verhelfen meist marinen Produkten zu einer facettenreichen Grundierung, können aber auch als Dessert mehr als nur überzeugen. Dabei haben wir es mit unterschiedlichsten Temperaturen und Texturen auf dem Hauptteller zu tun, ein Orangensüppchen mit Honig-Joghurtschaum und einem Fenchel-Lolli in weißer Schokolade mit Fenchelsamenkrokant zur Seite gestellt wurde. Wir erfreuen uns Löffel für Löffel an der Vielfalt der uns gebotenen Kombinationen, die fast alle funktionieren, zum Teil komplex und gewagt sind – und gerade dadurch begeistern.
Fazit: Nicht nur, dass Thomas Macyszyn gerade seinen ersten Stern im Michelin erkochte, wir erlebten auch eine überzeugende und zeitgemäße Küche, die weiteres Potenzial aufzeigt.
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