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    Im FS 9/13 wird Thomas Bühner mit dem Satz zitiert: „Überall ist man stolz auf seine Top-Restaurants, nur hier scheint es, als schäme man sich der gehobenen Esskultur.“

    Wir haben das Thema hier und da schon einmal angerissen, doch ist es für mich immer wieder erschreckend, dass man außerhalb unserer kleinen Genuss-Gemeinde kaum über gehobene Gastronomie unbefangen sprechen kann; und tut man es, erntet man eher despektierliche Kommentare oder trifft auf eisiges Schweigen.

    Auf wen ist ein Volk nicht alles stolz? Nehmen wir nur Sportler und Sänger: die Deutschen waren stolz auf Kaiser Franz, den Boris, die Steffi, den Schumi und sicherlich auch auf Lena. Aber warum sind sie es nicht genauso auf Harald Wohlfahrt, Kevin Fehling und Joachim Wissler, die zu den weltbesten Köchen gehören?

    Gut, an den "Großtaten" der Sportler und Sänger konnte man, wenn man wollte, teilhaben, entweder via TV oder gar in Stadien und Sälen. Teilhaben tun die meisten Deutschen an der Top-Gastronomie nicht, entweder weil sie es nicht wollen oder finanziell nicht können. Das soll aber in Frankreich anders sein; hier ist man auch stolz auf die Kochelite des Landes, ohne jemals selbst bei einem der Kochkünstler des Landes gegessen zu haben, sagt man; auch Thomas Bühner, der sogar von "überall" spricht.

    Also ein deutsches Phänomen? Und wenn ja, warum?

    Beste Grüße, Merlan

  • #2
    Vor ewigen Zeiten hatte ich das Thema mal aufgemacht...



    Gern später mehr und mit aktuellerem Bezug, es ist 16:00 Uhr, Zeit für Spaßgastronomie :-))

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    • #3
      Stolz entsteht ja durch Identifikation mit etwas. Ich denke, weil viele Leute selber kicken, identifizieren sie sich auch mit den Spitzenkickern und sind stolz auf sie. Der Stolz auf Basislebensmittel (außer bei Bier, Brot und Wurst) ist ja bei uns allenfalls regional geprägt und funktioniert (vor allem beim Wein) eher als Lokalpatriotismus. Aber wir sind ja bundesweit gesehen schon nicht auf Basislebensmittel stolz, wie kann da die Identifikation mit den großen Köchen entstehen. Das hat mit der fehlenden Wertschätzung für Lebensmittel in allen Kategorien zu tun, als bekannter Aspekt, den wir häufig beklagen. Aber ich denke hinzu kommt in der Sache noch die ohnehin schwierige landesweite Identifikation mit besonderen Leistungen/Dingen. Wir sind doch ein stark durch die regionale Vielfalt geprägtes Land (anders als Frankreich). Und ich denke, in Osnabrück sind sicher einige ein bisschen stolz, dass es in der Stadt ein so tolles Restaurant gibt (auch wenn sie selbst da nicht hingehen und dieses "Teller tauschen --> Lokalverbot"-Märchen glauben). Und im Schwarzwald sind sicher auch einige auf die großen Köche stolz.

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      • #4
        Zitat von QWERTZ
        Und ich denke, in Osnabrück sind sicher einige ein bisschen stolz, dass es in der Stadt ein so tolles Restaurant gibt
        Ich weiß nicht, lieber QWERTZ. Osnabrück ist gerade so ein schönes Beispiel: Als ich vor Jahren im La Vie war, hatte ich am Nachmittag noch Zeit und bin zum Friseur gegangen (ja, ja, Osnabrück hat so viel nicht zu bieten ). Der Friseur fragte mich, was mich denn nach Osnabrück führt und gab ihm stolz zur Antwort, dass ich mich riesig auf das beste Restaurant der Stadt freue. Antwort: "Was, in den Nobelschuppen gehen Sie? Da, wo nur die oberen Zehntausend verkehren, nichts auf dem Teller liegt und Sie ein Schweinegeld für halbgares Zeug zahlen müssen?"

        Ich weiß nicht mehr, wie ich in dieser Unterhaltung die Kurve gekriegt habe, aber ich bin sicher, dass der Figaro mir an der Kasse mehr abgeknöpft hat als seiner "normalen" Kundschaft.

        Beste Grüße, Merlan

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        • #5
          Zitat von merlan

          Auf wen ist ein Volk nicht alles stolz? ... und sicherlich auch auf Lena.

          Warum sollte ich auf einen Fluß in Sibirien stolz sein?

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          • #6
            Zitat von merlan
            Ich weiß nicht mehr, wie ich in dieser Unterhaltung die Kurve gekriegt habe, aber ich bin sicher, dass der Figaro mir an der Kasse mehr abgeknöpft hat als seiner "normalen" Kundschaft.
            Meine Erfahrung ist eine andere. Einige kollegen/Bekannte kommen aus OS bzw. der Umgebung und nachdem sie von meinem Hobby erfahren haben, fragen sie mich eigentlich immer. ob ich schon in "diesem Restaurant" war (Name ist meist nicht präsent)... Also am Ende vielleicht selektive Wahrnehmung.

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            • #7
              Meine Erfahrung in Deutschland ist ebenfalls eine etwas andere. Bzw. kenne ich keine Menschen persönlich, die "stolz" auf "unsere" Sportler, Sänger, Schauspieler oder Filmemacher sind, mich selbst eingeschlossen.
              Man findet sie gut und findet es schön, dass es diese Leistungen gibt – und so findet man das auch bei den Köchen. Das mit dem "stolz" sein spielt sich doch meistens innerhalb der jeweiligen Interessengemeinschaft ab. Nicht nur bei "Essverrückten".

              Merlan hat den Grund für die geringere Öffentlichkeit ja auch schon mit genannt – man kann an großen Küchenleistungen eben nur "direkt" teilhaben, oder gar nicht. Anders gesagt: dieses Segment ist zu speziell, um von einer breiteren Masse thematisiert zu werden. Das ist am ehesten mit Tenoren oder Dirigenten vergleichbar. Vielleicht beklagen die sich aber auch über mangelnde Anerkennung und den fehelnden "Stolz" des Volkes.

              Dass es in anderen Ländern so viel anders wäre, ist meiner Erfahrung nach ebenfalls eine Legende. Wie oft haben durchaus kultivierte französische oder italienische Freunde schon gespottet, wenn ich von den Toplokalen des Landes erzählte. Na und? Ich mache das, wenn mir jemand mit Avantgarde-Ballet oder Zwölftonmusik kommt.

              Wenn Köche, egal wo, so sprechen (und damit meine ich nun nicht explizit Thomas Bühner), dann wollen sie meinem Gefühl nach eigentlich sagen, dass sie zu wenig Gäste haben.
              Zuletzt geändert von brigante; 17.08.2013, 19:24.

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              • #8
                Zitat von brigante
                Dass es in anderen Ländern so viel anders wäre, ist meiner Erfahrung nach ebenfalls eine Legende. Wie oft haben durchaus kultivierte französische oder italienische Freunde schon gespottet, wenn ich von den Toplokalen des Landes erzählte.
                Eben. In Frankreich mag das vielleicht noch ein bisschen so sein, in sehr begrenztem Ausmass. Aber Spanien und Italien? Von meinen lokalen Freunden werde ich regelmäßig verspottet, dass ich mir für so einen Scheiss so viel Geld aus der Tasche ziehen lasse. Dasselbe beim Wein. Von wegen Stolz auf die grossen Namen. Wo es doch beim Winzer X um die Ecke viel besseren Wein und vor allem "echteren" für einen Bruchteil des Preises gibt.

                Ich kenne nur ein Land wo es die *** Köche es zu einem gewissen (wenn auch immer noch mäßigen) Bekanntheitsgrad schaffen und das sind die USA. Da gibt es ja auch schonmal 20 Seiten über Grant Achatz oder Gordon Ramsay im New Yorker.

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                • #9
                  Zitat von glauer
                  Da gibt es ja auch schonmal 20 Seiten über Grant Achatz oder Gordon Ramsay im New Yorker.
                  Ja, aber im "New Yorker" gibt es 20 Seiten auch über zahllose andere Dinge, über die man hier nicht im entferntesten in dieser Tiefe berichten würde. Wenn überhaupt. Insofern zählt das nicht so richtig.

                  Allerdings nehmen in den USA (und in Frankreich und Italien ebenso) meines Wissens auch sehr renommierte Chefs an populären TV-Shows wie "Top Chef" teil, ohne dass ihre Zielgruppe gleich den Weltuntergang prophezeit.

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                  • #10
                    Es gilt ja auch noch, zwischen Nationalstolz und Lokalpatriotismus zu unterscheiden. Ich denke schon, daß viele Franzosen auf das, was man französische Küche nennt, stolz sind; und, weil sie das für unzertrennlich halten, auf ihre hochbesternten Köche; so wie viele Deutsche auf ihre herausragenden Sportler, Merlan hat sie ja aufgezählt, stolz sind, (obwohl sie, aus niedrigen Beweggründen, ihre Steuern gar nicht mehr in ihrem Heimatlande bezahlen).

                    Was den Lokalpatriotismus betrifft: kann es sein, daß wir unsere stolze Zuneigung auch davon abhängig machen, ob die/derjenige, auf den wir eventuell stolz sein könnten, "einer von uns" geblieben ist? Um ein Beispiel, nochmals aus dem sportlichen Bereich, zu wählen: in Hoffenheim und im benachbarten Zuzenhausen spricht man voller Anerkennung und Stolz von D.Hopp; dieselbe Anerkennung erfährt der große Gerd Müller in seinem Heimatstädtchen - wo man es kaum fassen konnte, daß ER zur Einweihung des umgetauften Gerd-Müller-Stadions nicht erscheinen wollte - nicht.

                    Interessantes Thema für eine Diplomarbeit: Gibt es, den Lokalpatriotismus betreffend, einen Zusammenhang zwischen auf der einen Seite Beliebtheit/Bodenständigkeit und, auf der anderen Seite, leicht arrogantem Gehabe/gesuchter Abgehobenheit? Untersuchen Sie das am Beispiel zweier Köche, Thomas Bühner und Vincent Klink, ggfs. mit Feldstudien in Osnabrück bzw Schwäbisch Gmünd.

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                    • #11
                      Zitat von Schlaraffenland
                      kann es sein, daß wir unsere stolze Zuneigung auch davon abhängig machen, ob die/derjenige, auf den wir eventuell stolz sein könnten, "einer von uns" geblieben ist? Untersuchen Sie das am Beispiel zweier Köche, Thomas Bühner und Vincent Klink, ggfs. mit Feldstudien in Osnabrück bzw Schwäbisch Gmünd.
                      Das trifft es gut, werter Schlaraffe. Vorgestern spätnachmittags in der Arbeit lief in einer anderen Abteilung im Hause im Aufenthaltsraum der Fernseher, die Damen schwärmten vom dort zu sehenden V.Klink, von seiner natürlichen Art, und das alles, wo er doch einer der besten Köche im Lande sei. Und man sähe ihm den Spaß an der Sache an, er sei unverkrampft, usw...

                      MkG, S.

                      P.S. Nun gut, die Damen waren Pfälzerinnen, hier hat man ja ein anderes Verständnis von gutem Essen. Um so schöner, daß sie sich auch für hochwertige Küche (oh je, neuer thread "was ist hochwertige Küche"...) interessieren.

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                      • #12
                        Zitat von Sphérico
                        ...die Damen schwärmten vom dort zu sehenden V.Klink, von seiner natürlichen Art, und das alles, wo er doch einer der besten Köche im Lande sei.
                        Zitat von merlan
                        Im FS 9/13 wird Thomas Bühner mit dem Satz zitiert: „Überall ist man stolz auf seine Top-Restaurants, nur hier scheint es, als schäme man sich der gehobenen Esskultur.“
                        Ich glaube, es ist etwas anderes, einen Koch-Promi sympathisch zu finden oder auf das Vorhandensein von Top-Restaurants im Land wirklich stolz zu sein.

                        Beste Grüße, Merlan

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                        • #13
                          Zitat von merlan
                          auf das Vorhandensein von Top-Restaurants im Land wirklich stolz zu sein.
                          Über wie viele Nischentätigkeiten -und es gibt unendlich viele- kann man behaupten, dass eine breite Masse "stolz" auf deren Vertreter ist?

                          Und warum sollte einem das überhaupt wichtig sein?

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                          • #14
                            Der Begriff "Stolz" ist vielleicht auch etwas ungünstig gewählt. Es geht wohl eher um Aufmerksamkeit, Beachtung und vor allem Kenntnis bei weiteren Bevölkerungsschichten, dass Deutschland im Bereich der Spitzenküche inzwischen etwas zu bieten hat.

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                            • #15
                              Auch dann bleiben meine obige Fragen bestehen. Eigentlich gelten sie dann sogar noch mehr.

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